Monat: Dezember 2015

Stop 2015 // Start 2016

Ein weiteres Musikjahr, wildes Jahr, verrücktes Jahr findet sein Ende. Schön war es, mit euch, mit den anderen und mit allen Alben und Konzerten. Um die Neujahrsnacht nicht frierend zu verbringen, weile ich nun für ein paar Tage in Marrakech. Dank guter Vorausplanung werden die Beiträge hier weiterhin erscheinen, persönliche Interaktion gibt es aber erst ab dem 06.01.2016 wieder.

Danke für euer Interesse, eure Treue und eure Meinungen. Bevor nun aber alles zu Ende geht, hier noch meine Listen der besten Konzerte und Kinofilme im 2015.

Bis bald.


Kino 2015 – My World Is Fire And Blood
1. Mad Max – Fury Road, Regie: George Miller
Wenn sich ein Film gegen alle Modeströmungen stellt, da juble ich.
2. Sicario, Regie: Denis Villeneuve
Hochspannung von der ersten Sekunde an mit einer grossartigen Emily Blunt.
3. Ex Machina, Regie: Alex Garland
Ist künstliche Intelligenz die Zukunft? Eine wagemutige These von Garland.
4. Steve Jobs, Regie: Danny Boyle
Boyle zerstört auf geniale Weise den Mythos um Arschloch Jobs. Atemlos.
5. Star Wars Episode VII – The Force Awakens, Regie J.J. Abrams
Jaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaa! *_*
6. The Martian, Regie: Ridley Scott
Macht genau so viel Spass wie das Buch, Scott trifft alle Töne.


Konzerte 2015 – What Do You Want?
1. U2 – 18.10.2015 – Lanxess Arena, Köln
2. Roisin Murphy – 10.11.2015 – X-Tra, Zürich Hardbrücke
3. Alvvays / Moon King – 14.02.2015 – Bogen F, Zürich Hardbrücke
4. Apparat Soundtracks – 05.11.2015 – Kaserne, Basel
5. SBTRKT – 09.07.2015 – Jazz Festival, Montreux
6. Underworld – 19.03.2015 – Casino de Paris, Paris
7. Steven Wilson – 20.09.2015 – Komplex 457, Zürich Altstetten
8. Jovanotti – 10.12.2015 – Hallenstadion, Zürich Oerlikon
9. Halma – 24.10.2015 – Kapitän Platte Festival, Bielefeld
10. Placebo – 27.06.2015 – Open Air St.Gallen

Little Boots – Working Girl (2015)

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Little Boots – Working Girl
Label: Dim Mak Records, 2015
Format: Vinyl im Gatefold
Links: Discogs, Künstlerin
Genre: Synth-Pop, House

Wenn sich elektronischer Pop und Musik aus den Clubs treffen, dann endet dies meist in einer schematischen Vorstellung die zwar sexuell spannend sein mag, musikalisch aber den Tanzboden selten neu deckt. Viele Künstlerinnen haben in den letzten Jahren die fehlende Kreativität aber wieder neu entdeckt, auch Victoria Christina Hesketh aus England entpuppt sich mit jeder Veröffentlichung als interessante Songschreiberin.

„Working Girl“ ist ein Konzeptalbum über den Arbeitsalltag einer Frau. Ein Gefäss, das selten für leichte Musik gebraucht wird, Little Boots gelingt es aber, ihre Lieder ohne Zwang in einen Zyklus zu bringen. Ob dabei Deep-House oder Dance Vorderhand nehmen ist egal, denn die Musik bleibt für die gesamte Laufzeit eine spannende Mischung aus Eingängigkeit und düsterer Electronica. So brennen sich Zeilen wie „You were my hero, I was your heroine“ gleich in den Kopf, andere Momente müssen sich entfalten. Im Gegensatz zu den letzten Alben ist diese Veröffentlichung eine Abkehr vom fröhlichen Kaugummipop, dunkle Synthwelten erhalten mehr Gewicht und auch die Texte sind ernsthafte Betrachtungen. Sicherlich kann es die Dame nicht lassen, Wortspiele und farbige Momente einzubringen. Die Lieder verfügen immer noch über knallige Melodien und witzige Wortketten – solches muss man aber eher suchen. Das Gewand von „Working Girl“ steht Little Boots wunderbar, gerade auch weil sie damit Repetition verhindert.

Das neue Album ist intelligenter Tanzpop, der sowohl in der heimischen Stube als auch in einer Bar Anklang findet. Wie die grafische Gestaltung ist die Musik kein knallbunter Regenbogen mehr, sondern eine wohl überlegte Gesamtstimmung. Vielleicht fehlen dem Album gewissen Kanten und die Oberfläche ist teilweise etwas zu spiegelnd, Little Boots befindet sich aber auf dem richtigen Weg. Sie verlässt die bekannten Wege und befindet sich nun auf einem Weg, der unvorhersehbar ist und eine grosse Zukunft offenbart.

Anspieltipps:
Working Girl, Heroine, Business Pleasure

Beatastic – 02 2002 02020 2 (2015)

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Beatastic – 02 2002 02020 2
Label: No Label, 2015
Format: Download
Links: Bandcamp, Facebook
Genre: Shoegaze, Alternative

German below.

When guitar melodies flicker like air over hot ground and songs take you into dreamy worlds, then we are knee deep in Shoegaze. A genre full of effects and beautiful noises in which musicians and listeners lose themselves at the same time and a style that gained new fame in recent years. Beatastic from Brighton however venture beyond the known fields. They welcome Grunge, Indie and Electronica into the style with their new EP „02 2002 02020 2“.

The group gets going with „Butterflies“, music buzzes in the air, builds steadily on and leaves the surface statically loaded. Guitar riffs cut through the melodies and sound waves mingle with song structures. Synths and strings are one, the alienation of tones keep advancing. Beatastic never lose themselves in the experiment despite the opportunities and keep the songs in good health. Shoegaze that is dirty, songs that do not sound clinically clean – one finds specks of dust or mud in the music. Again and again the band goes for liberating euphony and the sun shows up behind the tracks. „Try Harder“ seduces with incredibly good guitar work and a driving drum. The song is a real highlight and makes this great EP even better. Beatastic know exactly when a songs needs to wander for minutes and when it should get tot the point very quickly.

People who find imperfection in music more attractive than the smooth and exaggerated euphony will find a wonderful extension of their collection in the latest EP from Beatastic. „02 2002 02020 2“ makes you relax with your eyes closed without dropping you into frosting. We may hope for the soon continuation of this series of publications from this interesting band.


Wenn die Gitarrenmelodien flimmern wie Luft über dem heissen Asphalt und Lieder zu verträumten Welten werden, dann befinden wir uns tief im Shoegaze. Eine Musikrichtung voller Effekte und Rauschen, in der sich Musiker und Hörer zugleich verlieren, und die in den letzten Jahren wieder Aufwind gewann. Beatastic aus Brighton, England wagen sich allerdings weiter als an die bekannten Fixpunkte. Mit ihrer neuen EP „02 2002 02020 2“ begrüssen uns Grunge, Indie und Electronica.

Wenn die Gruppe mit „Butterflies“ loslegt, dann schwirrt die Musik in der Luft herum, baut sich stetig auf und lässt die Oberflächen statisch geladen zurück. Schneidende Riffs durchbrechen die Melodien und Klangteppiche vermengen sich mit den Strukturen. Synths und Saiten werden eins, die Verfremdungen der Töne halten Vormarsch. Beatastic verlieren sich trotz den Möglichkeiten nie im Experiment und halten die Lieder im Zaum. Der Shoegaze rumpelt, die Lieder müssen nicht klinisch daherkommen. Man findet Staubkörner oder Erdresten, Dreck haftet den Songs an. Immer wieder wird man aber erlösend zum Wohlklang geführt und die Sonne zeigt sich. „Try Harder“ verführt mit unglaublich guter Gitarrenarbeit und treibendem Drum. Das Lied ist ein wahres Highlight und macht die tolle EP noch stärker. Beatastic wissen genau, wann ein Stück minutenlang umherwandert und wann es schnell zum Punkt kommen soll.

Für Menschen, die Imperfektion in der Musik immer attraktiver fanden als der glatte und übertriebene Wohlklang, die finden bei der neusten EP von Beatastic eine wunderbare Erweiterung ihrer Sammlung. „02 2002 02020 2“ eignet sich zur Entspannung bei geschlossenen Augen, ein Genuss ohne an Zuckerguss zu ersticken. Gerne darf man gespannt auf die Fortsetzung dieser Veröffentlichungsreihe hoffen.

Anspieltipps:
Butterflies, Try Harder, Stop Crossing Oceans

Media Monday #235

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Zum letzten Mal in diesem Jahr, ein gefüllter Medienrückblick. Hier findet ihr alle Mitmachende beim Medienjournal.

1. Mein schönstes Weihnachtsgeschenk dieses Jahr wie immer: Die freien Tage, die Zeit mit lieben Menschen, die tausenden von Franken die sie mir bezahlen müssen. Muahahaha.. Nicht? Och..

2. Von Peter Gabriel würde ich in 2016 ja gerne mehr hören, denn seit unendlich langen Jahren ist sein nächstes Album angekündigt. Doch wie immer bei diesem Künstler dauert alles etwas länger. Die ersten Ideen wurden nach viel Aufwand und Energie scheinbar komplett über den Haufen geworfen. Was jetzt genau kommt, weiss nur der Meister selber. Infos zu „I/O“ gibt es bei Wikipedia.

3. Für die letzten Tage des Jahres habe ich mir vorgenommen, meine Netflix-Liste etwas abzuarbeiten. Wobei meine ersten Griffe in die Kiste älterer Filme eher unglücklich waren. „Demolition Man“ hat seinen Reiz und den Anspruch über die Jahre komplett verloren. Vieles an diesem Actioner ist heutzutage einfach nur noch lächerlich.

„Doberman“ ist, wie man es sich von solchen Französischen Produktionen gewohnt ist, total überzeichnet und aufgeregt. Die Geschichte ist doof, die Schauspieler nervös und die Kameraführung extrem verspielt. Aber irgendwie geht es am Schluss dann doch auf, der Film ist amüsant.

4. Mein persönliches Highlight (in medialer Hinsicht) war 2015 „Mad Max Fury Road“ mit seinem handgemachten Wahnsinn und Steven Wilson mit seiner wunderschönen Buch-Edition von „Hand. Cannot. Erase“. Denn bei diesem edlen Set wird nicht nur das Artwork des Albums erweitert, die Geschichte hinter den Songs erhält eine viel grössere Tiefe. Zusätzlich liegen dem Buch noch Karten und Briefe bei.

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5. Wohingegen ich 2015 auf lieblose Präsentation gewisser Alben getrost hätte verzichten können, denn für mich sind Cover, Gestaltung und Verpackung ein wichtiger Bestandteil von neuen Platten. Gerade im Bereich des Vinyl ist es schade, wenn sich Labels zu Billigvarianten ohne Download oder Einleger hinreissen lassen. Besonders, da diese Platten meist nicht weniger kosten als aufwändige Pressungen von Indie-Labels.

6. Dinner for One habe ich in meinem Leben einmal geschaut, und das hat dann auch gereicht. Ich fand dieses Kultfilmchen weder sonderlich unterhaltsam noch mitreissend. Und wieso sollte ich immer in der Neujahrsnacht vor einem Bildschirm sitzen? Da gibt es bessere Möglicheiten die letzten Stunden im Jahr zu verbringen.

7. Zuletzt habe ich „Star Wars Episode 7“ ein zweites Mal im Kino angeschaut und das war wunderbar, weil der Film in 2D noch viel angenehmer und hübscher aussieht. Die Geschichte blieb spannend, die Machart immer noch extrem beeindruckend. Abrams ist es wahrlich gelungen, die Sternensaga für eine neue Generation wiederzubeleben. Hach, so toll, Episode 8 kann gar nicht schnell genug ankommen.

Live: Phased, Hirscheneck Basel, 15-12-18

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Phased
Support: b°tong
Freitag 18.12.2015
Hirscheneck, Basel

Schleichend suchte man sich einen Platz zwischen den dunklen Gestalten. Wie in Trance schwankten diese umher, man wusste nicht wer hier ein Mensch ist, wer ein ähnliches Wesen. Die Kellerräume schienen mal so nahe zu sein, dass man fast die feuchte Steine spüren konnte, dann wieder weit weg und unerreichbar. Die Luft vibrierte, das Atmen wurde zu einer Herausforderung. Denn was uns vom Raumende her entgegenschallte, waren gefährliche und angriffslustige Klangskulpturen und Lärmblasen. b°tong bearbeitete mit Mikrofon, Effektgeräte und Metall die Sinuskurven.

Der Künstler Chris Sigdell lässt unter diesem Namen die Gitarre ruhen, singt keine interessanten Sätze, sondern lässt die Orte von Drone und aktraktem Noise erobern. Dabei werden keine Computer eingesetzt, keine Instrumente gequält, sondern die Lieder von Phased gefoltert. Für deren Plattentaufe im Hirscheneck in Basel nahm sich Chris Lieder der lokalen Band vor, um sie gekonnt umzuformen. Das passte nicht nur in den düsteren Raum, sondern war auch gerechtfertigt. Der Musiker spielt schliesslich selber bei Phased mit, darf sich also eine Rekonstruktion der Songs auf hinterhältige Art erlauben.

Die Bühne musste Sigdell dann nicht mehr verlassen, denn der Rest von Phased kam ohne lange zu warten hinzu, sobald die Ohren der Besucher wieder vom Gewitter leer waren. Und wie es sich für eine Plattentaufe gehört, spielte die Stoner-Doom-Metal-Band ihr neustes Werk „Aeon“ komplett durch. Und das war auch gut so, offenbarten die Mannen der Welt, dass ihre Platte auch live perfekt funktioniert. Die schleppende Wucht der Gitarren, das Dröhnen des tiefen Bass und die Gewalt des Schlagzeugs – alles konzentriert in toll arrangierten Songs und umgarnenden Ausbrüchen. Der neue Gitarrist Florian Schönmann fügte sich gleich perfekt in das Bandgefüge ein und spielte sein erstes Konzert bei Phased mit viel Elan.

Wer bei der Musik allerdings die altbekannten Zutaten der Basler vermisste, den beschenkten die Musiker zur zweiten Konzerthälfte mit ihrem Erstling „Music for Gentleman“. Ein hartes und wildes Stück Stonergeschichte, der auch alle Biertrinker aus der Lethargie des Untergangs zurückholte und das Hirscheneck wie bei einer Stampede erzittern liess. Eine Zeitreise von musikalischer Härte, Güte und gleichen Gegensätzen. Die Lokalmatadoren haben zugeschlagen und bewiesen, dass auch nach einer längeren Absenz die Musikszene in der Schweiz ihre Härte braucht. Phased waren da, Phased bleiben.

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Paradise Lost – Symphony For The Lost (2015)

Paradise Lost - Symphony For The Lost

Paradise Lost – Symphony For The Lost
Label: Century Media, 2015
Format: Download
Links: Discogs, Band
Genre: Gothic-Metal, Symphonic Rock

Leute die sich immer in schwarz kleiden, die Haare lang wachsen lassen und ihre Musik gerne mit grossen Gesten unterstreichen, denen liegt meist auch die sinfonische Welt. Irgendwoher muss ja die Inspiration für eine Klangreise in Länder voller Helden und Drachen, epischer Schlachten und Feuerhöhlen kommen. Soweit das Klischee. Doch gerade eine Band wie Paradise Lost, die es sich im Gothic-Metal bequem gemacht hat, unterstreicht nun die Bedeutung von solchen Werken und präsentiert ein Livealbum mit Orchester. Hoch zu Ross und los aufs Schlachtfeld!

Das im alten und ehrwürdigen Römertheater in Plovdiv aufgezeichnete Konzert spaltet die Freude in zwei Teile. Wie mit einem überlebensgrossen Beil getrennt, wird die Band zuerst von Chor und Orchester in neue Soundvolumen begleitet, nur um sich für die letzten 40 Minuten wieder ganz alleine auf der grossen Bühne zu behaupten. Doch verloren ist hier niemand, denn die Musiker um den gut gelaunten Sänger Nick Holmes geben ihr bestes. Ihre Spielfreude ist zu jedem Moment spürbar, da verzeiht man der Band die wenigen Fehler. Dass diese Missgriffe nicht nachträglich bearbeitet wurden und Holmes sogar ein paar Zeilen krumm singen darf, zeugt von ehrlicher Rohheit dieser Aufnahme. Sicherlich ist gerade der Konzertabschluss eher eine Standardangelegenheit, lässt dem Hörer aber genügend Raum, um sich zu erholen. Denn was während der ersten acht Stücke aufgefahren wird, ist nicht nur episch gross, sondern wirkt zum Teil etwas aufgeblasen. Bläser streiten mit den Gitarren um die Hauptrolle, Streicher drängen das Schlagzeug in den Sumpf zurück. Dabei entsteht ein Sound, der direkt aus einem Film oder Hörspiel zu kommen scheint, und man muss sich zuerst damit anfreunden. Die Darbietung zeigt zwar Krallen, fühlt sich aber meist flauschig an. Wie immer ist die Kombination aus Sinfonie und Rockband eine Frage des Geschmacks, zu Paradise Lost passt dieses überzeichnete Auftreten ganz gut. Besonders, da in jedem Lied andere Instrumente die Leitung übernehmen. Leider passiert es dabei aber auch, dass die Band an ihrer Unterstützung vorbeispielt, bei Liedern wie „Gothic“ geht die Kalkulation hingegen perfekt auf.

Ein Grossteil des Dankes gebührt dem Publikum, feiert dieses die Gruppe während des gesamten Auftrittes frenetisch ab. „Symphony For The Lost“ ist somit eine Aufnahme die Spass macht, auch wenn sie einem teilweise ärgerliche Dinge vor die Füsse wirft. Paradise Lost beenden ihr erfolgreiches Jahr 2015 somit mit einer gesunden Erweiterung ihres Kataloges. Diese Aufnahme ist besonders für Fans der Band lohnenswert und dank einer Laufzeit von zirka 90 Minuten im angenehmen Rahmen. Vergesst vor dem Anhören aber nicht, eure Schwerter und Rüstungen zu polieren. Die erste Hälfte wird ohne diese Utensilien eine Ritter begrabende Lawine.

Anspieltipps:
Gothic, As I Die, The Last Time

Die besten Alben 2015

Was war das für ein Musikjahr! Praktisch jede wichtige Band und fast jeder einflussreiche Künstler oder Künstlerin hat die Welt mit einer neuen Scheibe beglückt (oder verärgert). Gegenüber dem eher schwachen Jahrgang 2014 ging im 15 die Post ab. Trotzdem, wie immer gab es auch in den letzten zwölf Monaten Kandidaten, die alles überstrahlten, die vom ersten Hördurchgang bis zum Weihnachtstag im Herzen und Kopf blieben.

Für mich als freischaffenden Musikjournalist brachte das Jahr auch einige Entwicklungen. Der Blog wurde immer beliebter, die Leserzahlen stiegen mit jedem Beitrag. Zum Glück hat sich auch meine Schreibe verbessert und verärgert somit weniger Geniesser von 17408sound. Ganz spannend wurde das Leben mit der Entscheidung, beim Team von ArtNoir mitzuwirken. Nicht nur erhielt ich dadurch die Möglichkeit, Alben und Platten kritisch zu betrachten, sondern darf nun auch Interviews mit Bands führen und Konzerte als Auftrag besuchen. Das erweitert nicht nur den eigenen Horizont!

Wenn es aber darum geht, die zehn wichtigsten und besten Alben zu bestimmen, dann war es auch in diesem Jahr nicht einfacher als sonst. Aber man kann sich ja nicht schwach zeigen, darum hier meine Top Ten 2015:

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  1.  Steven Wilson – Hand.Cannot.Erase
    Gott steht an der Spitze, wie könnte es anders sein. Bereits zum vierten Mal begeistert Herr Wilson mit einem Soloalbum, und vermengt auf „Hand.Cannot.Erase“ nicht nur New Prog und Art-Rock, sondern auch Pop und Electronica zu einem wunderschönen Konzeptwerk über vergessene Leben und Menschen. Ergreifende Melodien, intelligente Texte und schwelgerische Harmonien – genial.
  2.  Jamie XX – In Colour
    Schon damals schrieb ich in der Kritik, dass dies wohl das wichtigste Werk der elektronischen Sparte im aktuellen Jahr sein wird. Und für mich ist es „In Colour“ bis heute geblieben. Jamie Smith hat sich von The XX losgesagt und ein House-Techno-Garage Album geschaffen, das wie eine Wundertüte der Englischen Electroszene funktioniert. Mit bewegenden Liedern und tanzbaren Momenten.
  3.  Sufjan Stevens – Carrie & Lowell
    Er ist und bleibt der Meister des verkopften und herzoffenen Singer-Songwriter. Nachdem Stevens sich auf den letzten Alben dem Noise und der experimentellen Electronica zuwandte, gab es mit „Carrie & Lowell“ nun eine Rückkehr zu den leisen und intensiven Tönen. Gitarre, Banjo und Gesang – mehr braucht man nicht um glücklich zu weinen oder traurig zu lachen.
  4.  Periphery – Juggernaut: Alpha / Omega
    Doppelalben können eben doch funktionieren, sogar im wilden Gebiet des Djent-Metal. Die Amerikaner von Periphery prügeln sich auf zwei Platten durch dick und dünn, vergessen dabei aber nie Emotion und Melodie. Ob der Emo, College-Rock oder Prog an die Tür klopft, alles vermengt sich zu einer unwiederstehlichen Masse. Tut weh, aber du magst es ja.
  5.  Rangleklods – Straitjacket
    Nachdem das erste Album des dänischen Duos vor allem die dunklen Beats beschwörte, findet man sich mit „Straitjacket“ in allen möglichen Formen der Tanzmusik wieder. Sicher, die 90er sind wieder da, doch Rangleklods können noch viel mehr. Intelligente Strukturen, fesselnde Melodien und nachdenkliche Texte. Ab in den dunklen Club, oder zum Interview.
  6.  Luisa – Never Own
    Eine junge Frau aus Hamburg, ihre Gitarre, ihr Loopgerät. Mehr braucht es nicht um die Leute zu verzaubern. Zum guten Glück funktionieren die Lieder auch mit Band und ab Platte wunderbar.
  7.  Jovanotti – Lorenzo 2015 CC
    Lorenzo ist und bleibt der Beste. Egal ob Eurodance, nachdenkliche Texte oder Worldmusik, der Mann kann alles und schafft es auch bei einem Album mit 30 Songs nie zu langweilen.
  8.  Torres – Sprinter
    Düster, wild und verzerrt. Die neuste Platte von Torres ist ein schwarzes Grunge-Werk voller Einflüsse des Singer-Songwriter und tiefen Abgründen. Nichts für schwache Gemüter.
  9.  Lonely Robot – Please Come Home
    New Prog oder doch melodischer AOR? Wie auch immer, was John Mitchell hier auf die Beine gestellt hat ist supertoll. Das Album tropft nur so vor grossartigen Gitarrenriffs, wundervollen Melodien und tollen Gastauftritten.
  10.  Halma – Granular
    Musik ohne Text, Füsse ohne Boden. Die Hamburger lassen jeden Zuhörer ins All entschweben und verzücken mit spannende Gitarrenriffs. Macht süchtig und glücklich.

Da dies nicht ausreicht, hier noch 15 weitere tolle Scheiben.
Müsst ihr auch unbedingt hören und kaufen. Nur nicht ganz so dringen wie Plätze 1-10.

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Morrissey – Live At Earl’s Court (2005)

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Morrissey –  Live At Earl’s Court
Label: Attack Records, 2005
Format: CD
Links: Discogs, Künstler
Genre: Indie, Alternative Rock

Den ehrenwerten Moz einmal live auf der Bühne zu erleben, wie er singt und tanzt, wie er flucht und wie er Leute anpöbelt – das wäre schon mal was tolles. Doch leider zeigt sich Morrissey selten in der Schweiz und wenn er auf Tour ist, weiss man nie, welche Konzerte abgesagt werden. Eine schöne Alternative stellt dabei das Album „Live At Earl’s Court“ dar, welches mit seinem Titel auch gleich alles über den Inhalt sagt. Das Konzert aus dem Jahre 2004 bringt uns den englischen Künstler direkt ins Wohnzimmer, kompakt auf einer CD.

Der wunderbare Auftritt aus London startet auch gleich mit einem Klassiker, „How Soon Is Now?“ von The Smiths. Immer noch verwendet Morrissey gerne Songs von seiner ehemaligen Band bei den Darbietungen, fügen die sich doch auch wunderbar in die Setlist zwischen seine Soloarbeiten ein. Wie damals sind die Lieder auch heute noch kurz und knapp, die begleitenden Musiker brechen nie aus und spielen keine Solis. Sowieso folgt die Band klar den Anweisungen des Dandys, das stört so aber auch nicht. Genau ein solches Verhalten sucht man schliesslich bei Morrissey und seinen Musikern, alles ist wie man es kennt – stilvoll und mit beissender Satire gehalten, Bier mit Champagner. Der Frontmann machte sich an diesem Abend nicht nur gut im Anzug, sondern war gut gelaunt und spielfreudig. Der Gesang ist und bleibt natürlich unverkennbar, wie auch seine grossartigen Texte. Ihre Strahlkraft verlieren diese auch live nicht, besonders bei einer solch gelungenen Setliste. Da wechseln sich „Don’t Make Fun Of Daddy’s Voice“ und „Bigmouth Strikes Again“ ab, sowohl „I Have Forgiven Jesus“ als auch „Irish Blood, English Heart“ geben sich die Ehre.

Dieses Feuerwerk an Songwriting und Klasse bietet mindestens 18 Gründe für Fans, um zu jubeln und das Album abzufeiern. „Live At Earl’s Court“ bannt nicht nur einen perfekten Morrissey-Abend auf Platte, es dient auch hervorragend als Einstiegsdroge. Wer sich also kurz und schmerzlos mit dem Schaffen von Moz vertraut machen und dabei gleich auch an seine Art herantasten möchte, der ist hier goldrichtig.

Anspieltipps:
How Soon Is Now?, Don’t Make Fun Of Daddy’s Voice, I Have Forgiven Jesus

Live: Adieu Alass, Alass Zofingen, 15-12-19

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Adieu Alass
Mit: Starkus Meiner, Smjör, Oskar Lewyn, Gonzo, DJ Motti Mattete
Samstag 19.12.2015
Alass, Zofingen

Wertschätzung und Dank zeigt sich in unterschiedlichsten Formen – Abschied ebenso. Wenn nun also eine weitere Institution in Zofingen die Tore schliesst, auch wenn nur kurzzeitig, dann gibt es viele Gründe um sich zu zeigen und auszudrücken. Das Kulturlokal Alass in der Zofinger Altstadt hat manche wilde Partys und laute Konzerte erlebt, aber auch genau so viele besinnliche Momente und nachdenkliche Szenen. Für „Adieu Alass“, das grosse Abschiedsfest, wurden nun all diese Augenblicke zu einer wunderbar schmeckenden Nacht destilliert.

Bereits am späteren Nachmittag wurde der Gaumen mit Glühwein und Raclette verwöhnt, gerne auch in Rotation mit Bier oder kaltem Wein. Das gesellige Beisammensein an der Bar, in den Gängen oder im Kultursaal war immer ein wichtiger Bestandteil der Aktivitäten in diesem Gebäude, und auch an diesem Samstag traf man alte und neue Freunde, unbekannte Gesichter und vergessene Umfelder. Billige Witze fanden neben ernsten Aussagen ihren Platz, Lacher neben Umarmungen. So war der Saal schnell gefüllt und auf der Bühne machte sich zwischen vielen Mikrofonständern und Instrumenten Starkus Meiner bereit. Der junge Singer-Songwriter aus Zofingen läutete den musikalischen Teil des Festes mit lockeren und luftigen Liedern über Glück und Sonne ein. Hell leuchtete sein Gesicht in den Scheinwerfern, die Zuschauer tauchten mit ihm in das Meer in Montpellier. Durchweht von Melancholie liessen wir uns verführen und verfolgten seine Gedanken über das Leben als junger Erwachsener.

Mit Smjör verdoppelte sich die Musikerzahl im Alass, Delia und David Kunz spielten sanfte Lieder mit Gitarre, Geige und Gesang. Der hohe Gesang der jungen Delia erinnerte mich an einige Musikerinnen, Namen wollten mir aber keine einfallen. War doch das Bier schuld? Wie auch immer, die Lieder waren hübsch, aber teilweise etwas zu zahm. Oskar Lewyn half da aus und versetzte die Leute in Pubatmosphäre. Nur mit seiner Gitarre und Mundharmonika bewaffnet machte er sich alleine auf, den Folk und Blues zu bezwingen. Seine Songs erinnern dabei gerne an Genregrössen aus den Staaten oder der Insel. Schön, dass sich auch die junge Musikszene aus Zofingen so vielfältig zeigt.

Alass_Mbohli_Starkus Meiner  Alass_Mbohli_smjör  Alass_Mbohli_oskar lewyn

Der Konzertabschluss erfolgte ebenfalls durch lokale Mannen, ganz so jung sind die aber nicht mehr. Nach einer dreijährigen Bühnenabsenz wagten sich Gonzo endlich wieder einmal an eine Darbietung vor Publikum. Und was für ein Erlebnis es werden sollte! Die Band mischt ihren intelligenten und durchdachten Rock mit Anleihen des instrumentalen Post, Psychedelic und harten Ausschweifungen. Egal ob Pink Floyd zitiert werden oder sich die Basspedale dröhnend unter Gitarrenriffs legen, ihre Lieder atmen den Geist der Kreativität und Eigenständigkeit. So dürfen die Songs bis zu zehn Minuten ausgedehnt werden, Keyboard und Gesang feine Melodien anstimmen. Nie verliert die Gruppe dabei den Fokus und berührt mit jedem Stück. Genau so funktioniert Musik, die nicht nur unterhalten, sondern auch eine Botschaft weitergeben will.

Das war allgemein das Motto aller Auftritte, deren Vielfalt auch offenbarte, dass Musik in unglaublich vielen Gefässen existiert. Wichtig ist, dass den Künstlern dabei auch eine Plattform geboten wird. Für den ausgelassenen Abschluss sorgte der bekannte DJ Motti Mattete mit seinen tanzfreudigen Funk- und Beatplatten. Es war ein tolles Fest, nur schade heisst es jetzt Adieu sagen.

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