Monat: März 2018

Live: Granular, Schüür Luzern, 17-12-01

Granular
Support: Visions In Clouds
Freitag 01. Dezember 2017
Schüür, Luzern

Wenn es etwas zu feiern gibt, dann lädt man am besten seine Freunde ein. Und wenn diese auch gleich noch einen Grund zur Freude mitbringen, dann ist der Abend doch komplett. Dies dachte sich auch die Luzerner Band Granular, die am Freitagabend in der Schüür ihr erstes Album „XI“ taufte – und dazu Visions In Clouds mit auf die Bühne holte, die ebenfalls aus der Stadt mit dem Touristenüberfluss stammen und vor kurzen eine neue EP veröffentlicht haben. Kein Wunder also, standen bereits vor Showbeginn leere Champagnerflaschen im Saal.

Die Musik von Granular eignet sich sowieso perfekt, um von bitteren Stoffen zu auflockernden und bunt schmeckenden Getränken zu wechseln. Ihre Lieder hat die Band, welche früher unter dem Namen Augustine’s Suspenders die Leute zum Tanz animierte, nämlich im Bereich des modernen Pop angesiedelt. Ob bereit für die Radiowellen, soulig angehaucht oder dann doch lieber mit Indie-Gitarren versehen, eingängig ist die Musik der jungen Männer immer. Alsbald bewegten sich die Zuschauer dann auch zu „Something In Between“ oder „I Need You“ und genossen die Emotionalität zwischen farbigem Licht und bestrahlten Schlagzeugbecken.

Sicher, es fehlte vielleicht manchmal etwas die dunkle Seite des Klangs – doch vielseitigen Pop zu vernehmen, kann ja auch ganz gut ins Wochenende führen. Schön auch zu sehen, dass nicht nur viele Freunde von Granular anreisten, sondern die Band spielfreudig über den Leuten thronte und fleissig ihre Instrumente wechselte. Endlich wurde auch geklärt, wie man das Album nun aussprechen darf: Eleven. Das passt ja schlussendlich auch perfekt zum weltoffenen Klangbild dieser Scheibe.

Eher introvertiert und nachdenklich gaben sich die Lieder bei Visions In Clouds. Locker zwischen New Wave-Zitaten, Post-Punk-Gebrummel und Indie-Höhengefühl wechselnd, versanken nicht nur Musiker und Besucher in tiefen Schatten und blauem Licht. Die ganze Welt wurde für einen Moment kühler, polyphone Synthies und stringente Schlagzeugwirbel zur Familie. Und da die Luzerner seit neustem auf dem Pariser Label Manic Depression zuhause sind, nutzten sie diesen Anlass, um einen Song von Crying Vessel zu covern. Man ist in dieser kleinen Szene halt schnell eine Gemeinschaft.

Dieser beizutreten legten Visions In Clouds allen Anwesenden ans Herz und boten den besten Grund mit der kompletten Darbietung ihrer neusten EP „Levée En Masse„, deren Stücke sich zwischen schnell und treibend und melancholisch-verträumt bewegen. Musik für den Winteranfang, die zwar den Schnee nicht so schmelzen lässt wie bei Granular, aber die Hoffnung an Geborgenheit auch niemals aufgeben würde.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Papir – V (2017)

Es waren drei Freunde, die einen Weltallflug machten – hoch zu den Sternen, hinab den Kometen nach. Der Schlagzeuger sitzt hinten und liefert Schub um Schub, die Steuermänner und Tonangeber sitzen vorne. Und es rattert und brummt um sie herum der Motor, die kosmische Strahlung, die Ewigkeit. Was sich Mani Matter damals wohl nicht einmal erlaubte zu träumen, das ist bei Papir der Alltag: Instrumentaler Rock, der alle Grenzen und Hemisphären sprengt, zwischen psychedelischen Passagen und druckvollen Post-Rock-Momenten pendelt. Willkommen bei „V“.

Sich etwas mit der Geschichte des Prog- und Krautrock auszukennen, kann nie falsch sein, besonders wenn man mit der eigenen Musik all diese Quellen anzapft. Papir, welche mit „V“ ihr erstes und gleich über 90 Minuten langes Album vorlegen, wissen dies nur zu gut. So lebt ihre Musik nicht nur von immerzu wechselnden und sich gegenseitig aufgreifenden Klangmustern, sondern verneigt sich auch gleich vor alten Legenden der bewusstseinserweiternden Spielart. Schön ist aber, dass jedes der sieben bis zu 25 Minuten  langen Stücke auf diesem Album wunderbar entspannt daherkommt.

Sicherlich, die Gitarren werden mal forscher und legen ihre Argumente wunderbar dröhnend dar, Papir halten aber nicht viel von andauerndem Krach. Viel lieber lassen sie ihre Kompositionen herrlich in die Gebiete des Jam, des analogen Ambient und der entspannten Fusion eintreten. Immer mit freundlicher Wirkung, nettem Lächeln und fesselnden Arrangements ist „V“ also bester Stoff für eine lange Reise aus dem eigenen Kontinuum. Dänemark ist plötzlich nur noch wenige Meter entfernt und das Glück liegt zwischen emotionalen Melodien und zugkräftigen Takten.

Anspieltipps:
V.I, V.IV, V.VII

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Zirka – Wir sterben leise (2017)

Der edle Herr mit Anzug und Hut ist weiterhin im Logo von ZiRKA klar positioniert, doch die restlichen Anteile der Ska-Musik sind praktisch komplett aus „Wir sterben leise“ verschwunden. Nach über zwölf Jahren Bestand hat sich die Berner Truppe nämlich dazu entschieden, ein reines Punk-Album aufzunehmen. Weg mit Streichern und karierten Hemden, nur noch wenige Male lässt es sich gemütlich zur Musik schaukeln und hüpfen wie beim abschliessenden „Genau das wollen wir“. Ansonsten hält der Dreck Einzug.

Aber das tut auch gut, nehmen sich die Herren von ZiRKA mit Liedern wie „Freiheit minus Sicherheit“ oder „Wir schauen zu“ aktuelle und politische Themen zur Brust. Wie gehen wir mit unseren Mitmenschen um und wie zeigen wir uns in Krisen? Schnell lassen uns solche Fragen wütend werden und verzweifelnd umherschauen, da ist es nötig, dass die Musik ehrlich und ohne Schmuck daherkommt. Die Instrumente scheppern, die Aufnahmen scheinen in Bochum in einem Keller entstanden zu sein – aber alles wirkt schmissig und treibt nach vorne.

Ein Stil wie Punk war schon immer direkt und einfach, ZiRKA verlieren sich aber trotzdem nicht in hirnlosen Repetitionen bereits bekannter Stilmittel. Natürlich, die Riffs sind knackig und ohne Schnörkel, das Schlagzeug zielt konstant in den Magen und die Gesänge verleiten zu einem Mitgröhlchor. „Wir sterben leise“ lässt die Hörer aber spüren, dass es sich hier um eine Herzensangelegenheit handelt und Bern wieder mal aus der Lethargie holt. Vielleicht sterben wir leise, mit diesem Album leben wir zumindest kurz laut.

Anspieltipps:
Helden, Wir schauen zu, Wir sterben leise

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

The Pink Moon – Let The Devil Take Tomorrow (2017)

Keck werden die schick gepunkteten Leggins und die spitzen Schuhe auf dem roten Teppich schau geführt. Handelt es sich hier um den berüchtigten Teufel, den die Band auf „Let The Devil Take Tomorrow“ locken will, oder doch um ein Fan des klassischen Retro-Rock? Wie auch immer, The Pink Moon, welche sich 2013 in Trondheim gegründet haben, legen keine falschen Fährten und spielen auf ihrem neusten Album Rockmusik, die sich beim Psychedelic der 60er und der rumpeligen Art des Garage bedient. Die entstanden Lieder sind dabei nicht nur lustvoll, sondern klingen wie aus längst vergangen Jahrzehnten.

So würde es nicht weiter auffallen, wenn man mit Orgelmelodien und Stakkato-Gitarren versehen Stücke wie „Bloodline“ in eine Disco deines Vaters schmuggeln würde. The Pink Moon laden zum ausgelassenen Tanz ein und klauen sich mit viel Talent diverse Eigenheiten der erwähnten Stilrichtungen zusammen. Frontmann Morten Kristiansen ist seit Jahren in der norwegischen Szene tätig und zeigt auch hier wieder, dass sein unerschöpfliches Talent weiterhin für Alben gut ist, die früher auch The Who und Konsorten in die Charts gebracht hätten. Heute landet man damit zwar nicht mehr im europäischen Radio, aber im Herzen vieler Musikliebhaber.

Stücke wie „Heartbreaker“ verfügen nämlich nicht nur über tolle Riffs und immer wieder mal lärmende Stellen, die leichte Jogger ins Stolpern bringen, sondern über eine gehörige Portion Seele. Somit klingen The Pink Moon zwar manchmal fast etwas zu oft gehört („Rag Out“), zaubern einem aber immer wieder ein Lächeln auf die Lippen. Wer sich also gerne durch die alten Zeiten rockt, der wird auch mit dieser Scheibe viel Freude und Stunden erleben – Norwegen kann erneut einen Treffer verbuchen.

Anspieltipps:
Ball And Chain, Heartbreaker, Where You Gonna Go

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Spleen XXX – Poems Of Charles Baudelaire (2017)

Da fand wieder einmal zusammen, was schon lange so gehörte: Stéphane G. und Isthmaël B. haben nach Tätigkeiten in diversen Bands und Projekten nun all ihre schwarzmagischen Künste zusammengetan und mit Spleen XXX ein neues und schon fast morbides Projekt gestartet. Komplett dem Gothic Wave und trostlosen Post-Punk gewidmet, bietet das erste Album „Poems Of Charles Baudelaire“ viele Takte lang Gründe, um die Welt halt doch ein bisschen länger zu hassen. Dagegen helfen auch die Gedichte nicht.

Denn als Hintergrund zu diesem ersten Album von Spleen XXX dienen die ins Englisch übersetzte Gedichte des wegweisenden Schriftstellers Charles Baudelaire, präsentiert in einer tiefen Gesangsstimme von Isthmaël B., der mit seiner Betonung die Lieder nicht selten in Richtung Type O Negative gleiten lässt. Und wie auch bei der amerikanischen Gruppe, vermag es das französische Duo alle Tugenden des Cold Waves mit Rock und einer bedrückenden Atmosphäre zu versehen. Ob nun schleppend („Beauty“) oder bipolar gefährlich („Carcass“), die Lieder auf diesem Album sind immer suizidaler als eine nächtliche Autofahrt ohne Licht. Und Strasse.

Wenn sich hallenden Gitarrenspuren mit herrlich federndem Bass und einem stoischen Schlagzeug zur gemeinsamen Herrschaft verbinden, dann wachsen Spleen XXX schnell aus den scheinbaren Angstzustände und Endzeiten heraus und locken in Liedern wie „Her Hair“ mit einer grossen Versuchung. Ob „Poems Of Charles Baudelaire“ nun das Pflaster auf der Seele oder deren sprengender Keil ist, das Leiden mit diesem Album macht immer viel Freude. Und am Ende schreitet man sogar elegant im Mondeschein zu „Harmonie du Soir“ davon.

Anspieltipps:
Spleen, Her Hair, Carcass

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Live: Yello, Hallenstadion Zürich, 2017-11-30

Yello
Donnerstag 30. November 2017
Hallenstadion, Zürich

Das gab es wohl noch nie: Eine legendäre Band spielt im Hallenstadion in Zürich und fast alle Besucher sehen die Künstler zum ersten Mal live! Wenn man die Geschichte der Electro-Pioniere Yello aber kennt oder genauer betrachtet, dann ist dies nur eine weitere Merkwürdigkeit in ihrer fast 40 jährigen Bandhistorie. Es war schliesslich für lange Zeit nicht mehr realistisch gewesen zu hoffen, Dieter Meier und Boris Blank einmal überlebensgross auf einer Bühne zu bestaunen. Nach ausverkauften Konzerten in Berlin haben die Herren aber daran Gefallen gefunden und sich nun auf eine kleine Tour durch die deutschsprachigen Gebieten gewagt – und natürlich auch in Zürich angehalten. Aber nicht alles Gelbe ist Gold.

Wer seine Musik nie wirklich live darbot und somit auch nicht mit einem Publikum kommunizieren musste, der wirkt automatisch etwas verkrampft. Dies wurde auch Yello schnell zum Verhängnis, wussten sie die meiste Zeit nicht so wirklich, wie auf der Bühne zu stehen und was zu sagen. Das führte zu unfreiwillig komischen Ansagen und Kommentaren, geplant aber nicht geübt. Allerdings war der Dadaismus schon immer ein tonangebendes Element bei der Musik dieser Band, sei es nun in Silbenfolgen, Effekten oder Videoproduktionen. Auch die Show, welche vor allem das neue Album „Toy“ vorstellte, nutzte immer wieder Elemente daraus. Auf einem riesigen Screen fügten sich alte und neue Aufnahmen zu einer geschmacksvollen Präsentation zusammen, Blank versah alte Tracks mit neuem Klangvolumen.

Schön aber, dass auch Klassiker wie „Bostich“ oder „The Evening’s Young“ nicht komplett überarbeitet wurden. Mit einer Liveband versehen, welche sich vor allem durch die Bläsersektion bemerkbar machte, wurde das digitale zwar fassbarer, die Synthies knarrten und piepsten aber wie früher. Basswelle um Basswelle wurde aus dem Datenverkehr eine menschliche Darbietung – und die Stimme von Dieter Meier ist eh immer ein Highlight. Als Gegenpol zu seiner männlichen Erotik erschienen mehrmals die britisch-malawische Sängerin Malia und die Chinesin Fifi Rong im Scheinwerferlicht und machten aus „The Rhythm Divine“ oder „Lost In Motion“ anschmiegende Popstücke. Genau diese klinische Performance liess aber gewisse Risse im Mythos von Yello sichtbar werden.

Klar, ihre letzten Alben waren eher Werke, die sich im Gebiet des alternativen Pop mit Jazz-Anleihen sesshaft machten. So war auch im Hallenstadion meist die Gemächlichkeit der grosse Gewinner, wirklich wild wurden Yello nur mit „Do It“ oder „Si Senor The Hairy Grill“ – aber trotzdem hinterliess dies einen etwas hohles Gefühl. Über die Jahrzehnte haben Meier und Blank mit ihren Kompositionen unzählige Stilrichtungen und Bands beeinflusst, das war auch in Zürich immer wieder zu spüren. Nur leider ging bei diesem Auftritt etwas die Abenteuerlust und verruchte Stimmung verloren. „Vicious Games“ oder „Oh Yeah“ mal in einem Konzert erleben zu dürfen, herrlich. Doch die Erwartungen und Vorstellungen hat das Duo leider an diesem Donnerstagabend nicht komplett erfüllen können. Den Enkelkinder wird man es trotzdem erzählen.

 

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Carl Michael Von Hausswolff – Still Life – Requiem (2017)

Hört mal, ich spür etwas. Was früher in leicht anders formulierter Version in Kultfilmen für Lacher sorgte, das gilt auch heute noch für experimentelle Klangkunst. Der Schwedische Künstler und Musiktüftler Carl Michael von Hausswolff beweist dies im Extrem auf seinem neusten Album „Still Life – Requiem“ – ein Werk, dass vom Hörer körperlich und psychisch alles verlangt. Dabei ist die Tonwelt in diesen zwei langen Stücken mehr als zurückhaltend, versinkt sogar oft neben die Bereiche des Gewohnten und Hörbaren.

Aber genau dieses Experiment der Wahrnehmung hat Carl Michael von Hausswolff (dessen Tochter Anna von Hausswolff einigen von euch eher ein Begriff ist) mit dieser neuen Platte auch bezweckt. Die Grundsteine, welche für die lange Komposition „Still Life – Requiem“ gelegt wurden, basieren auf hörbar gemachten und veränderten Aufnahmen von konstanten Schwingungen fester Materialen. Das liest sich nicht nur abstrakt, es hört sich auch so an. Wie der verzettelter Drone eines Bienenschwarms in Verbindung mit verlorenen Geigenspielern, steigern sich schier unhörbare Frequenzen zu einem Muster.

„Sill Life – Requiem“ ist keine einfache Platte, es ist ein Album, das man mit extremer Hingebung anhören muss und keine Angst vor kleinen Lautstärken haben darf. Denn Carl Michael von Hausswolff hat sich bei seinen Feldaufnahmen nicht beirren lassen und viele Stellen von dieser Komposition im Unmöglichen gelassen. Somit muss man wie ein Forscher in die Klüfte hinuntersteigen und Schicht um Schicht zwischen Umgebungsrauschen und Tinnitus freigelegen – kommt dabei aber einer Erlösung näher als sonst jemals.

Anspieltipps:
Still Life – Requiem I

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Hook, Line And Sinker – Chainsaw Backstab (2017)

Ihr wollt Lärm? Dann holt euch bloss nicht zu viele Musiker auf einmal ins Haus, denn bereits ein Duo kann euch die Bausubstanz so zerlegen, dass eine leichte Renovation bei weitem nicht mehr ausreicht. Bestes Beispiel ist hierzu die erste EP von Hook, Line And Sinker – denn auf „Chainsaw Backstab“ werden gleich die lautesten und wirkungsvollsten Tugenden des Stoner Rock ausgepackt und mit einer gehörigen Portion Rücksichtslosigkeit versehen. Das Wunderbare dabei, es sind nur zwei Leute und die stammen aus Fribourg.

Die Devise bei Hook, Line And Sinker ist: Anlage laut aufdrehen und vergessen, dass Instrumente wie die Gitarre überhaupt existieren. Denn was die zwei Mannen aus dem Umfeld von Düdingen und Litzisdorf abliefern, das knallt euch auch mit reinem Schlagzeug- und Bass-Gewitter alle Scheiben aus der Fassade. Lasst euch mit „Black Heart“ bloss nicht vorgaukeln, diese erste EP sei genügsam. Denn schnell werden tiefe Riffs und Perkussionskasakden zur Tagesordnung.

Wer ein Song wie „Heavy Bullets“ übersteht, der stand auch schon einmal an einer berüchtigten Strassenecke einer gefährlichen Stadt – inmitten einer Schiesserei zwischen zwei Gangs. Da hilft es auch nicht, dass sich Hook, Line And Sinker bei gewissen Tracks kurz halten. Vielmehr regieren auf dieser Scheibe die grummelnden Licks und erbarmungslosen Klangüberfälle. Und genau diese Musik macht doch dann extrem Spass, wenn alles im Leben falsch abgebogen ist. Denn trotz Lärm, Halt gibt es hier immer.

Anspieltipps:
Black Heart, Heavy Bullets, Pray For Rain

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Oxytronix – Night Shift (2017)

Die Befreiung findet statt, das merkt jeder, der sich auch nur für kurze Zeit mit seinem Inneren befasst und endlich alle Grenzen aufsprengt. Für denn Künstler oxytronix aus der Schweiz folgte dieser Schritt vor nicht so langer Zeit und er holte gleich zum grossen Rundumschlag aus: Drei Alben, innerhalb weniger Wochen aufgenommen und produziert und dann gleich noch auf seinem eigenen Label Kanakland veröffentlicht – wer kann da schon mithalten?

Besonders interessant zu beobachten ist aber, dass in dieser kurzen Zeit Steigerungen vorhanden sind, die sich in ihrer Art und Dichte unterscheiden. Wir haben auf unserer Seite darüber berichtet, dass „Darkness“ ein Album der elektronischen Künste ist, das sich Einflüsse aus aller Welt holte – beim direkten Nachfolger „Night Shift“ verschwinden aber diese konkreten Zitate bereits. Oxytronix hat sich ein Album geschrieben, das kohärent und düster dasteht und sich von niemandem etwas vorschreiben lässt. Die Musik verschiebt sich von Electronica und Downtempo immer weiter Richtung Ambient und gewinnt dabei.

Weiterhin regieren die kurzen Ideen und Skizzen, viele Tracks lassen sich nicht länger als zwei bis drei Minuten Wirkungszeit auf den Hörer ein, danach ist alles weitere die eigene Wahrnehmung. Aber trotzdem, diese kleine Spannweite reicht aus, um aus Stücken wie „Ego Trip“ wirkungsvolle Nachtwanderungen und Gedankengänge wachsen zu lassen. Dabei ist merkbar, dass sich „Night Shift“ geschlossener gibt als seine kleinen Geschwister und mit seinem eigenen Bewusstsein extremen Bestand hat. Für alle Liebhaber des Dark Ambient und der schwarzen Electronica („Novatronix“ knall wunderbare rein) ist es auf jeden Fall eine Reise wert.

Anspieltipps:
Alone, Aquanox, Novatronix

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

New Order – NOMC15 (2017)

Wenn sich das Jahr zu Ende neigt, sollte man sich ja besonders friedlich und besinnlich verhalten, ansonsten erzürnt es die Verfechter erfundener Weisheiten. Grund genug für die New Wave-Legende New Order, ihr Livealbum „NOMC15“ nun auch als Massenware zu veröffentlichen. Die Aufzeichnung des Konzertes in Brighton im Jahr 2015 war zu Beginn dieses Jahres nämlich bereits als limitierte Pressung unter die Fans gebracht worden, nun also aber noch die Standard-CD und LP. Am Inhalt hat sich über die paar Monate natürlich nichts geändert, weiterhin geht es um die Darbietung des neusten Album „Music Complete“ und alten Klassikern. Und das ist auch gut so.

Denn was New Order an diesem Abend auf die Bühne stellten, war eine herrliche Kombination aus neuen Liedern wie „Singularity“ und alten Lieblingen wie „Waiting For The Siren’s Call“ – und holte dank geschickter Kombinationen das beste aus allen Möglichkeiten heraus. Denn auch für Leute wie mich, die vom letzten Studioalbum der Briten eher enttäuscht waren, machen diese lustvoll gespielten Versionen von „Tutti Frutti“ oder „Restless“ viel Spass. Gitarre und Synthies liefern sich Duelle, Gastsängerin La Roux veredelt „People on the High Line“. Gewisse Momente wie „Lonesome Tonight“ wollen nicht ganz aufgehen, dafür gibt es herrlich polyphone Gegenstücke wie „586“.

Wenn die Band dann unter grossem Jubel und mit voluminösem Klang in die Endphase steigt und als Zugabe gleich „Love Will Tear Us Apart“ und „Blue Monday“ vom Stapel lässt, dann hat sich „NOMC15“ endgültig die Daseinsberechtigung als Retail-Ausgabe erspielt. New Order verfügen auch heute noch über genügend Zugkraft in ihren Melodien und Rhythmen, dass man immer noch gerne zu diesen Liedern tanzt und ein neues Livealbum auf jeden Fall begrüsst.

Anspieltipps:
Ceremony, Tutti Frutti, True Faith, Blue Monday

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.