Monat: Oktober 2016

Twin Atlantic – GLA (2016)

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Twin Atlantic – GLA
Label: Red Bull Records, 2016
Format: CD im Digipak
Links: Discogs, Band
Genre: Pop, Rock

Täuschung ist ein gern genutztes Element um Vorurteile zu umgehen, Leute in die Irre zu führen und eigene Vorteile geschickt auszuspielen. Hier wird uns allerdings kein merkwürdiges Holzpferd vor die Füsse gekarrt, sondern ein Album, das man in dieser Form nicht erwartet hatte. Twin Atlantic aus Schottland geben sich optisch wie eine rockig aufspielende Boyband, „GLA“ ist aber ein dreckiges und heisshungriges Popalbum. Ein Werk, auf dem sich grossartige Melodien und an der Haut reibende Riffs glücklich begegnen. Scheint, als wäre Glasgow um eine sehr talentierte Band reicher.

Twin Atlantic starten mit „Gold Elephant: Cherry Alligator“ sehr rau und lärmend in das Album, doch diese Einstellung des Punks wird bald wieder fallen gelassen. Die Musik steigert sich zu einem eingängigen und tanzbaren Feuerwerk, irgendwo in dieser späten Stunde in der Rockbar angesiedelt, in der alle betrunken zu den Pophits von früher johlen. „Ex El“ ist die Kumulation und man fühlt sich plötzlich im Pool von Taylor Swift gelandet. Was Twin Atlantic schon ein paar Alben lang zelebrierten, erhält hier endlich die rücksichtslose Gangart. Egal ob Muse oder Biffy Clyro, die Gruppe holte sich überall die beste Inspiration.

Es gibt genügend Gründe, dieses Album eigentlich nicht zu mögen. Aber wenn es so angeschlagen und mit Blessuren übersät in der Ecke steht, dann ist man einfach begeistert von der Tiefe und dem extrem geschickten Umgang mit dem Pop. Twin Atlantic verraten sich auf „GLA“ nie selber, sondern vertiefen ihren Soundkörper konsequent. Im Gegensatz zu Troja werden unsere Mauern also nicht in Flammen aufgehen, sondern in lauter Musik. Da passt es irgendwie auch, dass die Gruppe ihr neustes Werk bei Red Bull veröffentlicht.

Anspieltipps:
No Sleep, Ex El, I Am Alive

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Meat Wave – Delusion Moon (2015)

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Meat Wave – Delusion Moon
Label: Side One Dummy, 2015
Format: CD
Links: Discogs, Band
Genre: Garage Rock, Punk

Auch wenn man 40 Minuten Zeit hat, gibt es keinen Grund, auch nur eine Sekunde davon zu vergeuden. Somit schnallen sich Meat Wave die Instrumente um und fallen vor Energie fast von der Bühne. „Delusion Moon“ startet mit seinem gleichnamigen Titeltrack wie ein Pferd am wichtigsten Rennen des Jahres und erholt sich während vier Liedern in keinem Moment. Die Gruppe aus Chicago zeigt auf ihrem zweiten Album somit, dass Garage Rock und Punk sehr wohl vital geblieben sind.

Nebst diesem hohen Tempo überzeugen Meat Wave aber auch damit, dass ihre Musik konstant die perfekte Balance zwischen atonalem Gitarrenschrammen und funktionierenden Melodien findet. Was zuerst klingt, als verliere die Gruppe die Kontrolle, ist ein perfekt durcharrangiertes Werk, welches vor jeden Stil den Power-Zusatz setzt. Die Genres nehmen den Indie in die Mangel, fallen zusammen in den Staub und drücken sich gegenseitig runter. „Delusion Moon“ verteilt dabei Stromschläge und ist wunderbar zappelig und energetisch. Man will mitraufen, mitzappeln und fühlt das Momentum. Ab „Sunlight“ wissen dann auch die Musiker, dass ihre Lieder immer noch funktionieren, wenn sie dem Aufbau etwas Zeit lassen.

Meat Wave gewinnen ab diesem Moment noch mehr Stärken und erinnern interessanterweise an die Indie-Schule der 2000er-Jahre. Da steckt wohl immer noch ein Stück der englischen Vergangenheit in den Saiten. „Delusion Moon“ macht somit immer Spass, bleibt wunderbar dreckig und ist eine wahre Überraschung. Mit perfekt treffenden Riffs, der tollen Stimme von Chris Sutter und dem Zickzack-Kurs macht das Album sofort süchtig. Wer gerne auf lärmende und tobende Songs steht, der findet hier einen neuen heiligen Gral.

Anspieltipps:
Sunlight, Witchcraft, Sinkhole

Seek Irony – Tech N’Roll (2016)

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Seek Irony – Tech N’Roll
Label: UDR Music, 2016
Format: CD
Links: Band, Facebook
Genre: Crossover, Electro Rock

Die Vereinigung von modernem Rock mit elektronischer Tanzmusik, das nannten wir früher doch Crossover? Wobei diese Stilrichtung so viele Fehlschläge einstecken musste, dass es verständlich ist, wenn bei Seek Irony dieses Wort nicht mehr fällt. Das erste Album der Gruppe aus Tel Aviv nimmt von Israel den Kulturmix mit und lässt „Tech N’Roll“ in der amerikanischen Sonne gedeihen. Seit 2015 war das Werk im Internet erhältlich, nun gibt es das Album überarbeitet bei uns in den Plattenläden – und leitet erneut eine Zeit voller ohrenbetäubender Nächte ein.

Komplett verschwand diese Musik nie, da half auch die Auflösung von Clawfinger nicht weiter. Gruppen wie The Prodigy brachten die Massen weiterhin mit ihrem Big Beat und riffgenerierten Elektro zum Ausrasten. Seek Irony setzen sich somit mit ihrem ganz amüsant betitelten Album „Tech N’Roll“ in ein noch warmes Nest. Schnell wird aber klar, dass die Gruppe vor allem eines mag: Unwiderstehlich mitreissende Gitarrenläufe, Rhythmen, die jedes Bein sofort zum Wackeln bringen und eine Wand voller Verzerrung. Beats und Synths werden breit gezogen, Lieder wie „She“ stürzen sich von der Rock-Kindheit in die MDMA-Jugend. Diese Mischung klingt mal wie Metal-Indie (der Titelsong), Muse oder Drum’n’Bass in roher Form.

Neu ist das wie gesagt nicht, da kann der Pressetext noch so lange mit dem Wort „einzigartig“ um sich schmeissen. Viel mehr zeigen Seek Irony auf ihrer Platte, dass Künstler wie Rob Zombie, Pendulum oder NIN immer noch viele Fans zu eigenen Bands animieren. Im vorliegenden Fall macht dies immer Spass und man fühlt sich zu einer Party verführt. Wirklich in die Tiefe geht „Tech N’Roll“ aber nie und muss sich damit begnügen, genauso schnell vergessen zu werden wie es eingängig und laut das Gehirn in Freude versetzt.

Anspieltipps:
She, Low, Ravelution (Push)

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Fewjar – Until (2016)

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Fewjar – Until
Label: Schubert Music Agency, 2016
Format: Download
Links: Facebook, Band
Genre: Polygenre, Synth-Pop

Stellen wir uns für einmal vor, Musik wäre genau dasselbe wie Wasser und deren Geschichte ein ähnlicher Kreislauf. Alles wäre somit in konstanter Verbindung und immer in Bewegung. Vergangenes und Kommendes, Traditionelles und Neuartiges – nichts kann man betrachten, ohne die passierten Momente und Aspekte mit einzubeziehen. Und genau das machen Fewjar mit ihren Liedern – sie produzieren einen sich immer verändernden Schwall an Klang und Ideen. „Until“ lässt sich somit keiner Stilrichtung zuordnen und zeigt uns wieder wie früher, was Musik für eine Wunderwelt sein kann.

Gut, dass Jakob Joiko und Felix Denzer sich gleich entschieden haben, ihr Album unter der Bezeichnung des Polygenre zu veröffentlichen – denn was zwischen „Gemini“ und „Levitation“ passiert, benötigt etwa so viele Namen, wie es Klänge in den Liedern hat. Was sehr elektronisch und irgendwo zwischen 80er-Pop und Techno-Disco beginnt, wandelt sich über nachdenklichen Ambient-Art-Rock zu Singer-Songwriter mit Rockwurzeln. Immer bleiben Fewjar aber dem Pop huldigend – somit tanzen die Füsse schneller als der Kopf realisiert hat, wo das nächste Lied nun landen will. Diese Taktik geht bei Songs wie „Lo“ perfekt auf.

Was bei Fewjar als Geschenkidee für die Familie begann, ist mit „Until“ nun ein kolossales Unterfangen der modernen Musikgeschichte geworden. Wunderbar produziert und nie über all die Möglichkeiten stolpernd, finden hier Leute mit Affinität für elektronisch untermalte und schlagkräftig ausgeführte Popmusik ein wahres Sammelsurium an Gedanken. Wie die Evolution der Stilrichtungen ist auch „Until“ ein konstant locker fliessendes Werk, das mit jedem Lied neue Ideen einbringt. Nie stockend, nie erzwungen – einfach nur voller Frohmut und mit viel Liebe zur Musik.

Anspieltipps:
Lo, Indigo, Eris & Exile

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

öOoOoOoOoOo – Samen (2016)

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öOoOoOoOoOo – Samen
Label: Apathia Records, 2016
Format: Download
Links: Discogs, Band
Genre: Avantgarde, Experimental Rock

Vielleicht ist es der falsche Moment, „Samen“ als erstes am Montagmorgen zu hören. Das Gehirn hängt immer noch irgendwo im Wochenende und spätestens beim Lied „Meow Meow Frrrru“ glaubt man, seine Synapsen zwischen Katzenvideos auf 9Gag und gemeingefährlichen Kunstbildern auf Instagram verloren zu haben. Obwohl: Was öOoOoOoOoOo auf ihrem ersten Album abliefern, passt wohl genauso schlecht zu jedem anderen Moment – und somit genau so perfekt überall hin. Das Projekt zwischen Sängerin Asphodel und dem Multiinstrumentalisten Baptiste Bertrand ist ein brodelnder Topf voller Musik und Fragwürdigkeit.

Asphodel sprengt alleine mit ihren Stimmbändern alle Grenzen und singt sich opernhaft zwischen den Gitarren durch, nur um dann wie Tiere zu klingen, zu kreischen, zu grunzen und sich sanft schnurrend auf unseren Beinen einzurollen. „Samen“ vereint dabei so viele Ansätze, dass die einzelnen Liedern zwar wie Körperteile des Tausendfüsslers – wofür öOoOoOoOoOo sprachlich steht – wirken, aber sich nie komplett zusammenfügen. Zwischen Avantgarde Metal, experimentellem Rock, spielerischen Reimen im Pop-Gewand und instrumentalen Lawinen liegend, ist dieses Wesen ein gigantischer Berg an Ideen. So fühlt man sich bei „Bark City“ plötzlich mit Mäusen im Saloon, nur um gleich wieder mit Metal-Blasts den Colt weggeschossen zu kriegen.

Erstaunlich ist dabei, dass mutige Entdecker und musikalische Seiltänzer dieses Album sehr schnell ins Herz schliessen werden. Trotz aller Wechsel, Veränderungen und Saltos sind die Lieder von öOoOoOoOoOo eingängig und erfassbar. Man begibt sich zwar in Gebiete, die auf den Karten mit Monstern gekennzeichnet sind, findet aber Schönheit und wunderbare Arrangements – „Purple Tastes Like White“ klingt schier träumerisch. In „Samen“ muss man somit unbedingt reinhören, ausser man gibt sich jeden Tag mit demselben Alltag und Song zufrieden und hatte bei Die Antwoord schon Angst – wie langweilig.

Anspieltipps:
Rules Of The Show, No Guts = No Masters, Purple Tastes Like White

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Live: Yann Tiersen, Tonhalle Zürich, 16-10-18

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Yann Tiersen
Dienstag 18. Oktober 2016
Tonhalle, Zürich

Vielleicht war es doch nicht die beste Entscheidung, Taschen und Jacken an der Garderobe abzugeben. Denn gleich nachdem das Saallicht ausging und sanfte Klänge aus dem Klavier einen wunderschönen Konzertabend einleiteten, fühlte man sich kilometerweit weg in die Natur transportiert. Die Macht der klassischen Musik nahm sofort alle Besucher gefangen und liess mehr als nur die Gedanken schweben. Yann Tiersen zeigte in der Tonhalle in Zürich, dass ernste Musik weiterhin funktioniert und man nur zehn Finger und wenige Instrumente für den Erfolg braucht.

Die neuste Tour bringt den französischen Künstler nämlich ohne Begleitung und in stark reduzierter Kulisse in die ehrwürdigen Konzertsäle von Europa. Zum ersten Mal darf man sein neustes Album „EUSA“ live erleben und dabei tief in die Klavierstücke eintauchen. Mit scheinbar schwerelosen Fingern zauberte der Komponist sanfte Melodien und klangvolle Akkorde aus den einzelnen Tasten und füllte im ersten Konzertteil die stillen Stellen mit Feldaufnahmen der bretonischen Insel. Krähen kreisten über den Köpfen der Zuhörer, das Meer rauschte sanft und man spazierte in Gedanken durch Felder und an Stränden entlang.

Nicht wenige Male ertappte man sich selbst dabei, eine Jacke überziehen zu wollen, um den wunderbaren Herbstabend draussen geniessen zu können. Zurückgeholt wurde man vom tosenden Applaus des ausverkauften Saales und der Begeisterung über das grosse musikalische Talent von Yann Tiersen. Denn nicht nur am Klaiver, sondern auch an der Geige und der Elektronika überraschte uns der Musiker – er spielte alte und bekannte Stücke seiner Karriere als reduzierte Versionen und voller Virtuosität. Wie bereits bei den Klavierstücken wurde zwischen meditativen Malereien und wilden Eskapaden gewechselt – man konnte nicht anders, als hochkonzentriert in der Musik aufzugehen.

Egal ob Herr Tiersen nun etwas zerlumpt aussehend am Klavier sass, am Boden kauerte oder als Einziger auf der geschmackvoll ausgeleuchteten Bühne voller schier kindlicher Lebensfreude alte und brandneue Musik zum Leben erweckte – dieser Auftritt war stets dynamisch in der Musikerfahrung, energetisch in der Präsentation und poetisch im Inhalt. Ein Konzert, dass zwischen Natur und Mensch sowie zwischen Unterhaltung und Ernsthaftigkeit die Verbindungen schlug. Man war am Ende wie betäubt von der Schönheit, und zu Recht wurde am Schluss die Intimität durch tosenden Jubel aufgebrochen.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

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Wilco – Schmilco (2016)

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Wilco – Schmilco
Label: dBpm Records, 2016
Format: Vinyl im Gatefold, mit Download
Links: Discogs, Band
Genre: Americana, Alternative

Ok ihr habt gewonnen, denn wer sein neustes Album „Schmilco“ nennt und das Cover mit einem exklusiven Comic von Joan Cornellà verziert, der kann nur genial sein. Wobei Wilco ihr Talent bei mir auf keinen Fall mehr unter Beweis stellen müssen, denn seit vielen Jahren veröffentlicht die Grösse des Americana ein Meisterwerk nach dem anderen. Und auch das erstaunlich ruhige Werk für den Jahresabschluss 2016 enttäuscht nicht – nein, viel mehr führt es die Gruppe aus Amerika in neue Höhen der reduzierten Musik. Was letztes Jahr bei „Star Wars“ noch etwas zu viele Gleichungen zu lösen versuchte, ist jetzt mit sich selbst im Reinen.

Wilco haben an der instrumentalen Front nämlich einen Abrüstungsvertrag unterzeichnet und lassen die Gitarren nun oft akustisch und leise vor sich hin schrummeln. Der Jangle steigt mit uns in „Schmilco“ ein und führt die Gruppe auf staubigere Strassen. Das Schlagzeug und der Bass sind knackig, Jeff Tweedy legt uns seine aktuellen Ansichten über sein Heimatland dar. Unaufdringlich aber doch unwiderstehlich, immer auf sehr persönliche und gefühlsvolle Art. Da passt es wunderbar, dass der alternative Folk-Rock nun mit weniger Verzerrung und Aufregung passieren darf. In der zweiten Hälfte des Albums dürfen die Riffs und Licks wieder etwas lauter werden, auf behutsamen Pfoten tritt die Psychedelica neben uns in das Wüstengras.

„Schmilco“ zeigt die grosse Band aus den USA mit kurzen und wunderschönen Songperlen, Wilco finden damit endlich wieder zu ihrer Höchstform zurück. Lieder wie das sanfte „Shrug And Destroy“ retten zwar nicht die korrupten Systeme, aber doch unseren Alltag und die angeknacksten Gefühle. Somit ist diese Platte die beste Möglichkeit, alleine oder zu zweit eine wunderbare Stunde zu geniessen und auch ohne Stromschläge entzückt im Wohnzimmer zu tanzen.

Anspieltipps:
If I Ever Was A Child, Someone To Lose, Happiness

Interview mit Khaldera – Musik und Landesmassen

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Khaldera Website / Facebook

Michael Bohli: Hallo Sven, besten Dank für die Möglichkeit eines Interviews und gleich mal: Gratulation zur neuen EP „Alteration„.
Sven Egloff: Hallo ebenfalls und Danke für die Lorbeeren.

Khaldera – ebenso ein Kontinent einer Spielwelt, in der nicht alles ganz normal zu und her geht. Wie weit passt ihr da mit eurer gleichnamigen Band rein? Erschüttert eure Musik die Erde?
Nach anfänglicher Verwunderung und einer Minute auf Google kann ich nur sagen, dass wir damit rein gar nichts zu tun haben und passen noch weniger in diese Welt als Nutella zu Essiggurken. Aber nichts desto trotz erschüttert unsere Musik natürlich immer ihre Umwelt, egal wo wir uns befinden .Es ist cool, dass wohl jemand dieselbe kreative Idee hatte wie wir.

Geografisch konkreter: Ist es für eine Band eine gute Ausgangslage, im Aargau seine Heimstätte aufzubauen?
Da wir das Glück hatten einen sehr guten Proberaum in der Nähe eines Bahnhofes zu finden – definitiv ja. Fabio und ich wohnen ausserdem nur knapp 5-15 Minuten vom Raum entfernt. Viel besser kann es daher aktuell nicht sein. Was Auftrittsmöglichkeiten angeht bestehen im Aargau nicht sehr viele geeignete Lokale für unsere Musik. Allerdings benötigen wir aufgrund der zentralen Lage auch nicht allzu lange, um beispielsweise nach Zürich, Basel oder Bern zu gelangen.

Eure Band existiert seit vielen Jahren, vor allem als bekannte Bewohner des Proberaumes. Wie habt ihr euren steigenden Bekanntheitsgrad erfahren ohne gross das Land zu bereisen?
Eigentlich haben wir das Land mit der Band noch gar nicht bereist und auch selbst sehr wenig Werbung betrieben. Man kann jedoch nur Leute erreichen, indem man Musik veröffentlicht und aktiv verteilt – heutzutage geschieht dies meist über das Internet. Da die erste EP von Aaron Harris (Palms, ISIS) abgemischt wurde, konnten wir über sein Netzwerk bereits Personen ausserhalb der Schweiz erreichen. Ich glaube, wir haben damit sogar mehr Leute aus anderen Ländern als Schweizer erreicht.
Für die zweite EP haben wir uns für die Zusammenarbeit mit dem Label Czar of Crickets entschieden, welches einiges an Promo-Arbeit geleistet hat. Dadurch konnten wir nun auch wieder neue Leute erreichen, ohne überhaupt ein Konzert gespielt zu haben – was uns natürlich freut.

Ist es möglich, in einer solch schnelllebigen Zeit mit nur zwei EPs in drei Jahren trotzdem in den Gedanken der Menschen zu bleiben?
Das ist schwer zu sagen, ich denke das kommt auf die Musik an. Wenn einem die Lieder gefallen und auch über längere Zeit fesseln, spielt man sie auch öfters ab. Mir persönlich spielt es keine Rolle, wie viel Material eine Band veröffentlicht – hauptsache ich kann gute Musik geniessen. Und bei der heutigen Fülle an guter Musik stellt sich mir manchmal eher die Frage, wann man das denn noch alles hören soll?

Existiert für euch – oder alle instrumentalen Metal-Bands – eine eigene Szene? Gelingt mit einem homogenen Publikum der Durchbruch oder wird dies durch diesen Umstand eher erschwert?
Die Existenz einer solchen Szene ist mir nicht bewusst. Wenn Sie bestehen würde, wäre sie in der Schweiz wahrscheinlich eher klein.

Was lange braucht wird endlich gut – welche Gründe verhindern bei euch das Loslassen der Lieder? Auf „Alteration“ spürt man den Anspruch an Perfektion, der auch oft erreicht wird. Steht man sich dabei aber nicht gerne selber im Weg?
Es gibt dafür keine spezifischen Gründe. Ich für meinen Teil mag es jedoch, wenn alles wie aus einem Guss klingt. Dies erfordert oftmals etwas mehr Hingebung und auch entsprechend Aufwand. Für uns ist schlussendlich aber das Endergebnis am wichtigsten und wir sind bestrebt nur Material zu veröffentlichen, mit welchem wir auch vollends zufrieden sind. Sich selbst im Weg stehen kann man teilweise durchaus. Wir haben aber inzwischen gelernt, radikaler zu sein wenn es notwendig ist. Es ist ausserdem hinzuzufügen, dass wir die letzten drei Jahre nicht alleine in diese EP investiert haben. In dieser Zeit haben wir auch bereits einiges an anderem Material zusammengestellt und wir können es kaum erwarten, es fertigzustellen.

Czar Of Crickets ist ein kleines Label mit ausgewählten Bands – wie kam eurer Kontakt zu Fredy zustande?
Für Alteration wollten wir eine andere Art von Produktion, Promotion und Vertrieb finden, gleichzeitig aber so unabhängig wie möglich bleiben. Es war uns ebenfalls wichtig, mit Leuten aus der Umgebung zu arbeiten, welche man auch effektiv treffen kann – jemand der unsere Musik versteht und weiss worum es geht.  Wir kannten Fredy Rotter (Labelmanager) von der Band Zatokrev und wussten, dass er erfolgreich sein eigenes Label betreibt und schon einige Alben heraus gebracht hat. Somit schrieben wir ihn einfach an. Er war von Anfang an sehr aufgeschlossen und für eine Zusammenarbeit bereit, und wir sind bisher auch sehr dankbar für seine Arbeit. Dank seiner Kontakte in Europa erreichen wir mit unserer Musik international Menschen, die wir ansonsten nur mit sehr viel Aufwand oder gar nicht erreicht hätten. Es hat uns auch bereits ein paar sehr gute Reviews, Interviews und sogar Konzertmöglichkeiten eingebracht.

Glaubt ihr, auf eurem Weg auch einmal Schnellschüsse zu wagen – oder bleiben Khaldera für ihre langsame, aber stets überlegte Vorgehensweise bekannt? Frech ausgedrückt, das erste Album 2017 oder 2025?
Wir sind sehr motiviert, das erste Album vor 2025 zu veröffentlichen. Wenn alles gut läuft, könnte es durchaus möglich sein, dass ihr es in 1-2 Jahren in den Händen haltet. Wir wollen aber noch keine Versprechungen machen.

In eurer Biografie steht, dass ihr vorläufig eine instrumentale Band seid. Schwirren denn Gedanken im Raum herum, es in Zukunft auch mit Stimmen zu versuchen?
Wir schliessen grundsätzlich nichts aus, wenn uns eine Idee gefällt und haben auch schon über Experimente diskutiert. Sofern wir der Musik mit Gesang effektiv etwas hinzufügen und gleichzeitig auch das Gefühl eines Songs einfangen und übermitteln könnten, ist es definitiv eine Option für uns. Die Zeit wird zeigen, ob sich etwas ergibt.

Besten Dank für das Interview.
Vielen Dank auch dir.

Yann Tiersen – Eusa (2016)

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Yann Tiersen – Eusa
Label: Mute, 2016
Format: Download
Links: Facebook, Künstler
Genre: Klassik, Field Recordings

Als Künstler kann man vielen Dingen eine Ehrerbietung mit seiner Musik zollen – Menschen, Zeitgeschehnissen oder seiner eigenen Herkunft. Für sein neustes Album hat der bekannte Komponist und Musiker Yann Tiersen die Insel Ushant an der Küste der Bretagne, zugleich sein Wohnort, als zentrales Thema des Albums ausgewählt. Reduziert auf sein Piano lässt uns Tiersen in seine Welt und seine Gedanken eintauchen. „Eusa“ erzählt dabei ganz ohne Worte eine emotionale Geschichte und ist persönlicher als viele seiner Werke zuvor.

Wer Yann Tiersen durch die Filmmusik von „Die fabelhafte Welt der Amélie“ kennengelernt hatte, dabei aber seine folgenden Soloalben immer als zu wild und laut empfand, der fühlt sich hier gleich zuhause. Verspielte Melodien in leichten Kompositionen steigen in den blauen Himmel, Wind streicht durch die Wiesen und Felder, das Meer bricht an den Felsen. Ergänzt mit Feldaufnahmen der Natur zeichnet Tiersen eine musikalische Karte der Insel – und sich selber. Wiederkehrende Motive gleiten zwischen den Stücken und halten „Eusa“ geschickt zusammen. Weniges steht für sich selber, Lieder wie „Proz Goret“ können aber auch losgelöst ihre Schönheit entfalten.

Sicherlich ist „Eusa“ nicht ein Album für alle, Yann Tiersen bleibt hier schliesslich immer in seiner eigenen Reduktion als Pianist. Keine weiteren Instrumente finden hier Platz, nur die Raben krähen Texte zu seinen Arrangements. Ein Nachteil ist dies aber zu keiner Sekunde, die Melodien sind wunderschön und betten einen in wohlige Gefühle. Mit Bildern seiner Ehefrau optisch unterlegt funktioniert das Werk für alle Sinne und verleitet zu geniesserischen Abenden im Herbst.

Anspieltipps:
Pern, Porz Goret, Hent

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Moby & The Void Pacific Choir – These Systems Are Failing (2016)

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Moby & The Void Pacific Choir – These Systems Are Failing
Label: Mute, 2016
Format: Download
Links: FacebookBand
Genre: Post-Punk, Electronic Rock

Wenn ein komplettes System zusammenbricht, dann geschieht dies meist nicht leise und im Hintergrund – nein, eine ganze Welt wird erschüttert und der Lärm übertönt alles. Wer dagegen ankommen und sich das Gehör der Leute in solchen Zeiten verschaffen will, der kann nicht zimperlich vorgehen. Musiker und Aktivist Moby hat dies schon lange begriffen und veröffentlicht darum 2016 erneut ein Debütalbum: „These Systems Are Failing“ ist ein lauter Schrei nach Besinnung und Wandel, aufgenommen mit The Void Pacific Choir. Und ja, endlich bricht der Künstler aus Los Angeles wieder mit seinen bekannten Mustern.

Die Karriere von Moby ist nicht nur sehr interessant, sondern voller Veränderungen und einem immer präsenten Engagement für die Umwelt und Tiere. Dies hat nicht nur sein Leben stark beeinflusst, sondern auch die Musik. „These Systems Are Failing“ ist eine klare Aussprache gegen die zerstörerischen Machenschaften der geldgierigen Politiker und idiotischen Leute, die blind alles glauben. Es geschieht ganz offensichtlich mit Stücken wie „Are You Lost In The World Like Me?“ oder doppeldeutig wie bei „Don’t Leave Me“ – der Tierrechtshymne des 21. Jahrhunderts. Moby und seine Musiker sind dabei immer laut und er lässt an die Punkzeiten von „Animal Rights“ denken – hier aber kombiniert mit dem alten, dreckigen Techno.

„These Systems Are Failing“ dreht von Anfang her auf und füllt alle Frequenzen mit Rückkopplungen, Synths und harten Drums. Moby & The Void Pacific Choir  haben dabei ein Album erschaffen, das gewisse Leute überfordern kann, aber endlich wieder ohne Verlustängste elektronische und handgemachte Musik wild mischt. Es ist Musik, die zum wütigen Tanz auffordert, das Herz aber mit viel Liebe füllen kann. Klar ist es weder komplex noch fortschrittlich, aber genau ein solches Werk war nötig. Moby zeigt, wie wichtig Widerstand und Aufstand ist und wird nicht müde, uns dies auf geniale Art mitzuteilen. Ein neues Kapitel hat begonnen, wer ist mit dabei?

Anspieltipps:
Don’t Leave Me, Are You Lost in the World Like Me?, The Light Is Clear in My Eyes

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.