Bücher

Bruce Dickinson – What Does This Button Do? (2018)

Was für ein Tausendsassa der werte Herr Bruce Dickinson doch ist! Er hat als ausdrucksstarker Sänger nicht nur die Heavy-Metal-Band Iron Maiden zu einem Luxusdampfer der harten Rockmusik gemacht und mehrere Soloalben veröffentlicht, nein er ist auch Pilot, Autor, Moderator und ehemaliger Weltklassefechter. Ein Leben, das für ein Buch wie gemacht ist und oft sogar ein wenig erfunden klingt. In „What Does This Button Do?“ nimmt sich der Engländer der Aufgabe des Erzählens auch gleich selbst an und präsentiert seine Autobiografie, die weit über das gewohnte Schema eines Buches über Musiker hinausgeht.

Das zeigt sich nämlich nicht nur um flotten und kumpelhaften Umgangston und der lockeren Schreibform, sondern auch beim Fokus des Inhalts. Das repetitive Leben zwischen Albumproduktion, Konzertreise und kurzen Erholungspausen wird meist in kurzen Sätzen und wenigen Abschnitten zusammengefasst. Sicher, auch Bruce Dickinson hat einige abstruse und leicht skandalöse Geschichten auf Lager und schämt sich auch nicht, diese hier Schwarz auf Weiss zu offenbaren. Schön dabei ist aber, dass diesen Eskapaden weder viel Gewicht gegeben, noch seine eigene Naivität und Dummheit ausgespart wird. Dieses Buch dient niemals dazu, andere Leute schlecht zu machen und alte Fehden wieder aufleben zu lassen.

Viel spannender wird „What Does This Button Do?“ immer dann, wenn sich die Erzählung weg vom typischen Metal-Alltag hin zu Dickinsons anderen Leidenschaften wendet. Sei es sein jahrelanger Versuch, einen Film über Aleister Crowley auf die Beine zu stellen, seine nicht ganz ernst gemeinten Übungen Romane zu schreiben oder die haarsträubenden Vorfälle in seiner Pilotenkarriere – alles wird leicht verständlich und mit genügend Selbstironie angegangen. Diese Autobiografie ist immerzu unterhaltsam und positiv, sogar die schwere Zeit der Krebserkrankung löscht den Optimismus nicht aus dem Mann und dem Buch. Nur sein persönliches Privatleben bleibt für grosse Teile im Dunkeln – was so ganz gut passt.

„What Does This Button Do?“ ist nämlich keine Glorifizierung und Erklärung der Person Bruce Dickinson, sondern seiner Taten und Errungenschaften. Man muss sich mit dem Autor nicht über Politik streiten, keine seitenlange Sinnierungen über einzelne Tonlagen und Gitarrenriffs ertragen, man wird alleine zum Staunen eingeladen. Und dies passt eigentlich perfekt zu der Bühnenfigur Dickinson, die man seit vielen Jahren zwischen riesigem Eddie und gewaltigen Songs kennt. Ein Buch, das also nicht nur Iron Maiden Fans unterhalten wird.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Rich Wilson – Time Flies: The Story Of Porcupine Tree (2017)

Als die Band endlich die edle Royal Albert Hall betreten durfte und vor ausverkauftem Saal ein fantastisches Konzert spielte, war es mit Porcupine Tree eigentlich bereits vorbei. Die wandlungsfähige und stets hart arbeitende Band um Meister Steven Wilson wollte immer den Durchbruch und die grössere Anerkennung, beendete ihren Lauf aber während dem steilen Aufstieg. Man hatte sich musikalisch zu fest verfahren, wiederholt und ausgelaugt. Dabei fing alles so anders an …

„Time Flies“ von Rich Wilson (nicht verwandt mit dem gewissen Steven) ist das erste Buch, welches die Geschichte der Art-Rock-Grösse aus England erzählt – wenn auch nicht autorisiert. Doch das tut dem Buch nicht weh, wurde hier schliesslich in aufwändiger Arbeit aus vielen Interviews und Berichten alles herausdestilliert, was den Weg von Porcupine Tree ausgemacht hatte: Angefangen bei den alleinigen Versuchen Wilsons im eigenen Schlafzimmer, die ersten Tapes mit erfundenen Biografien über die immerzu wechselnden Stilrichtungen bis hin zum fulminanten Abschluss als erstarkte Band im Bereich des modernen Progressive Rock.

Schnell wird trotz all den Widrigkeiten, welche Porcupine Tree in ihrer Karriere aushalten mussten, klar, dass es wohl selten eine klanglich interessantere, aber szenentechnisch langweiligere Band gab. Fern von allen Exzessen, Drogengeschichten, wilden Vorfällen oder misslungenen Konzerten erarbeiteten sich die Musiker mit jedem Album einen besseren Ruf und mehr Fans. Für „Time Flies“ bedeutet dies leider, dass sich grosse Teile des Buches wie ein konstanter Kreislauf lesen. Der Ablauf „Demo, Aufnahme, Veröffentlichung, Tour“ wird bei jedem Kapitel gleichförmig wiederholt, bei Zitaten aus Gesprächen und Presseberichten leider zu unsorgfältig gearbeitet.

Die Lektüre von Rich Wilson ist somit zwar leicht und wenig anstrengend, oft aber auch etwas zu wenig redigiert. Gewisse Fakten werden oft wiederholt, viele Absätze lesen sich holprig – hier wären grössere Eingriffe in das Quellenmaterial hilfreich gewesen. Somit ist das Buch vor allem für Anhänger von Steven Wilson und seinen Bands interessant, Neulinge werden wohl das Phänomen hinter Porcupine Tree nach „Time Flies“ nicht wirklich erfassen können. Schön war es aber trotzdem, für einmal die Geschichte als Ganzes zu erfahren – und vor allem bei jedem erwähnten Album wieder Lust auf ein Wiederhören zu haben.

Noch ein kleiner Hinweis: Das Buch beschränkt sich auf einen Fliesstext mit wenigen Bildern in der Mitte. Da weder Bandmitglieder noch beteiligte Labels an der Veröffentlichung mitgearbeitet haben, fehlten natürlich die Rechte, um visuelles Material in den Text einzubauen. Somit lockern weder Albumcover noch Backstagefotos „Time Flies“ auf – aber immerhin kann man aus vier passend psychedelischen Umschlägen auswählen.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Burrows, Terry – MUTE, die Geschichte eines Labels (2017)

Nicht nur die Musik macht aus einem Label das, was wir wahrnehmen und ins Herz schliessen. Spannend ist der Umgang mit Produzenten von Platten doch immer dann, wenn eine direkte Kommunikation mit dem visuellen Erscheinungsbild stattfindet. Doch wie klar wird eine solche Linie, wenn sich ein Label über 40 Jahre im sehr wechselhaften Geschäft der populären Musik befindet? Erstaunlich stringent in seiner Vielfalt und handgemachten, experimentalen Darstellung – wie „Mute – Die Geschichte eines Labels“ von Terry Burrows und Daniel Miller nun in bunter Pracht darlegt.

1978 in England von Daniel Miller gegründet, wurde aus dem kleinen DYI-Label schnell ein grosser Name für Musik aus dem Bereich Post-Punk, New Wave und Synthie-Spässe. Weltbekannte Namen wie Depeche Mode, Nick Cave & The Bad Seeds, Fad Gadget, Goldfrapp oder Moby durften hier früh ihre ersten Schritte wagen und prägten mit ihrer Musik viele Kindheiten. Die dazugehörigen Covermotive, Single-Designs oder Plakate wurden teilweise ikonisch und lassen sich nun in „Mute – Die Geschichte eines Labels chronologisch entdecken. Terry Burrows begleitet die Evolutionen, Versuche und Mutationen der bildnerischen Gestaltung mit informativen Texten und erklärt damit so einige Rätsel.

Das beste an „Mute – Die Geschichte eines Labels“ ist aber, wie liebevoll und offen mit dem Material umgegangen wird. Man erhält als Leser Einblicke in die Entstehungsprozesse der Designs, darf zwischen frühen Entwürfen und nicht verwendeten Skizzen blättern und sogar alle Tochterlabels begrüssen. In klarem Layout und auf über 300 Seiten wird hier also die Musikgeschichte noch einmal herrlich aufgezeichnet und bietet für Techno-Freaks (Plastikman) wie auch für kaputte Seelen (Wire) Interessantes. Mute – ein Name, der auch heute noch für Qualität steht und hier von Terry Burrows gebürtig gefeiert wird. Und schnell wird klar: Am eigentlich Konzept der Veröffentlichungen hat sich während 40 Jahren nichts geändert: Noch immer gilt das Raue, das Seelenvolle, die ehrliche Intention. Auch im Design.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Jeanette Leech – Fearless. The Making Of Post-Rock (2017)

Autor: Jeanette Leech
Titel: Fearless. The Making Of Post-Rock
Verlag: Jawbone
ISBN: 978-1-911-03615-9
VÖ: 15. Juni 2017
Webseite: Jeanette Leech auf Twitter

„Fearless. The Making of Post-Rock“ ist keine Entstehungsgeschichte, sondern ein Requiem, ein Rückblick und Abschluss. Das Buch endet nämlich genau an dem Punkt, an dem aus einer experimentellen und immerzu etwas unfassbaren Stilrichtung ein Produkt der Masse wurde, austauschbar und gleichförmig. Denn im Gegensatz zu der verbreiteten und journalistisch immer wiedergekauten Meinung, Post-Rock sei als Genre klar mit instrumentalen Stücken mit aufschwellenden Gitarren und langen Laufzeiten zu definieren, handelt es sich vielmehr um einen Abenteuerritt ohne Konventionen oder Sicherheitsnetze. Jeanette Leech tat also gut daran, ihr Buch „angstlos“ zu nennen – und liefert die Antwort, wieso „Kid A“ von Radiohead theoretisch mehr Post-Rock ist als „All Is Violent, All Is Bright“ von God Is An Astronaut.

Die Autorin, DJane und Musikhistorikerin hat mit diesem Sachbuch nämlich nicht nur versucht, mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte komprimiert anhand vieler Interview- und Textpassagen zu rekonstruieren, sondern auch die Essenz von Post-Rock zu destillieren. Kein einfaches Unterfangen, ist doch bist heute schwierig zu erklären, was denn genau diese Rock-Unterart ausmacht. 1994 von Kritiker Simon Reynolds erschaffen, ist die Wortkreation vor allem ein Sammelbegriff für Bands und Künstler, die sich gegen die Regeln und die Kunst vor Konsum stellten. Dabei werden Einflüsse aus Dub, Electronica, Krautrock und Punk genauso zugelassen wie das Ignorieren einer Bandhirarchie und der Abbau des Ego.

Frühe Bands des Post-Rock waren weder weit bekannt noch wirklich gewillt, viele Konzerte zu geben. So tüfelten Bands wie Slint, Disco Inferno, Codeine oder Tortoise lieber tagelang an Klängen und Präsentation, als sich vor Leuten aufzuspielen und ihre Namen in die Welt zu tragen. Somit ist es interessant, dass Jeanette Leech in grosser Arbeit viele alte Zitate und Gespräche mit diesen Musikern zusammengetragen hat und man nun in „fearless.“ auf eine sehr informative Zeitreise gehen darf. Die Menge an Informationen und Namen machen zwar den Lesegenuss nicht immer leicht, oft verspürt man aber eine grosse Lust, die erwähnten Alben und Bands aufzustöbern und in aller Ruhe zu entdecken.

Somit ist „fearless.“ nicht unbedingt für alle Leser geeignet, wer sich aber detailliert mit der Stilrichtung Post-Rock und den prägenden Bands aus den Achtzigern und Neunzigern beschäftigen will, der findet hier viele Stunden voller Unterhaltung. Jeanette Leech schreibt angenehm, wechselt zu Beginn aber etwas willkürlich die Perspektive. Dies wird mit der Zeit stringenter und das Buch ist in thematisch geordnete Kapitel eingeteilt. Und um alles etwas fassbarer zu machen, sind zwei Bildstrecken inkludiert. Damit ist diese Veröffentlichung eine Feier für einen Begriff, der heute nur noch als Abklatsch existiert und vor allem eine Orientierungshilfe darstellt. Aber jetzt alle in die Plattenläden, die Diskografie von Talk Talk will gekauft werden.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Robert Forster – Grant & Ich (2017)

 

Robert Forster – Grant & Ich
Verlag: Heyne Encore, 2017
Autor: Robert Forster
Seiten: 368, Hardcover
ISBN: 978-3-453-27133-3
Link: Goodreads

Es war nie einfach für die australische Band The Go-Betweens, ihre Karriere funktionierte wie ihr Name: Irgendwie zwischendurch und nie als aufsteigende Kurve, wie bei so vielen anderen Gruppen. Heute gilt das Duo Robert Forster und Grant McLennan zwar als geschichtlich wichtig und einer der stärksten Exporte Australiens, zu Zeiten ihres Bestandes schwammen die Musiker aber nie in grossen Seen voller Ruhm und Reichtum. Ihre Kreativität und schlichte Art brachte sie aber immer wieder zusammen und trieb die Maschine hinter der Band an. Egal ob zu zweit, im Verbund mit weiteren Musikern oder als Solokünstler – Songs wie „Lee Remick“, „Streets Of Your Town“ oder „Cattle And Cane“ verloren bis heute in keinster Weise ihre Strahlkraft.

Wobei es immer unsicher war, ob diese Kleinode des alternativen Pop-Rock überhaupt das Licht der Welt erblicken können. Nachdem sich die Band 1978 gegründet hatte, folgten Jahre von mühsamer Arbeit zwischen Labelwechsel, Musikerrotationen und kleinen Tourneen. 1989 wurde für The Go-Betweens dann alles etwas zuviel, die Leute gingen getrennte Wege – zumindest bist Forster und McLennan die Band 2000 reaktivierten. Mit vollem Elan und grosser Kreativität starteten die beiden den zweiten Frühling, durch den plötzlichen Tod von Grant McLennan wurde diese Phase aber zu schnell und brutal beendet. Was bleibt sind neun Studioalben voller Musik, die nicht nur Down Under verändert haben und der Beweis, dass Songwriter-Duos immer etwas magisches anhaftet.

Diese unkonventionelle Geschichte darf man aus den Augen von Robert Forster selber erleben, der literarische Songwriter hat mit „Grand & Ich“ seine Memoiren aufgezeichnet. In leichten Worten verfolgt er chronologisch die Begegnungen und Momente, welche aus jugendlichen Träumern wichtige Komponisten machte und lässt den Leser an vielen Geschehnissen teilnehmen. Forsters Art verhindert dabei, dass man zu lange bei den unschönen Punkten hängen bleibt und die Geschichte wirkt immer wieder mystisch. Im eigentlichen Sinne ist dieses Buch auch keine tiefgehende Biografie einer Band, sondern die Erzählung einer Freundschaft.

Und so müssen, im Gegensatz zu vielen anderen Büchern über Bands, hier auch keine Skandale ausgeschlachtet werden, sondern es darf die Kreativität zweier Menschen und deren Blüten genossen werden. Das geschriebene Wort schwingt dabei so locker wie auch viele Songs von The Go-Betweens, manchmal fehlt aber etwas die direkte Hinterfragung und Konfrontation. Das Leben in dieser Band war bestimmt nicht immer einfach, dies spürt man aber wenig bei „Grant & Ich“. Für alle Freunde der etwas andersartigen Popmusik wird hier dennoch viel Unterhaltung geboten – da zeigte sich Nick Cave zu Recht begeistert.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Aubrey Powell – Vinyl. Album. Cover. Art. (2017)

Aubrey Powell – Vinyl. Album. Cover. Art.
Verlag: Thames & Hudson, 2017
Autor: Aubrey Powell
Seiten: 320, Hardcover
ISBN: 978-0500519325
Link: Goodreads

Es gab wohl selten ein Designstudio, das sich innerhalb kürzester Zeit einen solch grossen Namen gemacht hat wie Hipgnosis aus England zwischen 1967 und 1984. Kaum eine bekannte Rockband aus dieser Zeit kann nicht mindestens ein Album- oder Single-Cover dieser Schmiede vorweisen – gewisse verdanken den grafischen Künstlern sogar einen Grossteil ihres Vermächtnisses. So wären die Platten von 10cc, Wishbone Ash oder natürlich Pink Floyd wohl nie so auffällig gewesen, wie sie es auch heute immer noch sind. Und mit „Vinyl. Album. Cover. Art.“ erhält man nun endlich die Gelegenheit, das komplette Schaffen von Hignosis in einem Band zu betrachten.

Zusammengestellt und kommentiert von Aubrey Powell, dem einzig überlebenden Gründer des Studios, darf man hier tief in das Schaffen der Meister eintauchen und auf 480 Abbildungen alle Kunstprojekte bestaunen. In schlichtem, aber funktionalem Layout werden nicht nur die Cover aufgelistet, sondern auch aufgeklappte Bilder von Gatefolds, Label der Schallplatten oder Inlays gezeigt. Neugierig und voller Heisshunger auf kunstvolle Gestaltung blättert man von einer Ikone zur anderen – man denke nur an das Prisma von „Dark Side Of The Moon“ oder das geschmolzene Gesicht von Peter Gabriel.

Dieser Musiker hat dem wunderbaren Bildband auch gleich ein Vorwort beigesteuert, verdankt er den Herren Powell, Storm Thorgerson und Peter Christopherson nicht nur einen visuellen Leitfaden in seinem Soloschaffen, sondern auch einen Gegenpol zur progressiven Musik. Denn Vorreiter in der Bildbearbeitung und der Komposition war Hipgnosis immer. Toll, dass man bei „Vinyl. Album. Cover. Art.“ auch noch einen Making-Of-Text und einen kurzen geschichtlichen Überblick erhält. Man blickt also nicht nur erneut auf die Äusserlichkeiten von Led Zeppelin, T. Rex oder Genesis, sondern taucht hinter die Schichten aus Fotografie und Malerei.

Das Buch ist somit nicht nur ein Muss für Sammler von Vinyl, sondern auch eine perfekte Ergänzung des Sachbuchregals und Kulturhistoriker. Und auch wenn das Studio Hipgnosis so heute nicht mehr existiert, ihre Erzeugnisse werden für alle Ewigkeit auf dem Olymp des guten Musik-Designs stehen. Und dank „Vinyl. Album. Cover. Art.“ auch endlich chronologisch und komplett.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Nathan Gray – Until The Darkness Takes Us (Buch, 2017)

Nathan Gray – Until The Darkness Takes Us
Verlag: Dark Gospel Transmission, 2017
Autor: Nathan Gray
Seiten: 170, Softcover
ISBN: 978-0692807552
Link: Goodreads

Nathan Gray ist ein weltbekannter Musiker, der vor allem durch seine Band boysetsfire für Furore gesorgt hat. Die bandeigene Mischung aus Hardcore und intimen Texten fand schnell Fans in vielen Ländern – doch gerade gewisse Aussagen von Gray polarisierten auch stark. Er war immer ein Mensch, der sein Innerstes nach aussen kehrte und schon fast missionarisch seine Meinungen kundtat. Als Mitglied der Church Of Satan ist dies natürlich besonders brisant, da es schnell mit religiösem Eifer verglichen wird.

Trotzdem, sein künstlerisches Output mit weiteren Bands wie I AM HERESY oder, ganz neu, dem Nathan Gray Collective, konnte sich immer etwas von diesen Bindungen lösen. Die harten Gitarren und auch die stampfenden Beats übertönten so mache eher peinlichen Textzeilen oder Aussagen. Bei seinem neusten Album „Until The Darkness Takes Us“ liessen sich beim Hören auch viele Sätze in einen anderen Kontext setzen. Doch mit dem begleitend und zeitgleich erschienenen Buch gelingt dies nicht mehr.

„Until The Darkness Takes Us“ ist seine erste Autobiografie, in der er all die genannten Punkte anschneidet – aber auch gleich wieder fallen lässt. Denn das geschriebene Wort zum gleichnamigen Album ist mehr ein Manifest und wirre Gedankensammlung als kohärente Lebensrückschau. Nathan Gray wechselt ziellos zwischen persönlichen Erinnerungen, fundamentalen Überlegungen, Poesie und Zitaten. Das Buch wirkt dabei in keinem Moment wirklich schlüssig oder tiefgründig, vielmehr hatte ich das Empfinden, hier einen schlechten Selbsthilfe-Ratgeber vor mir zu haben. Besonders, wenn man zum hundertsten Mal lesen darf, wie man an sich selber glauben muss und die dunklen Dämonen überwinden soll.

Nathan Gray schafft es auf den knappen 170 Seiten auch nicht, klare Aussagen zu seiner Abkehr vom christlichen Glauben und zu seiner Position bei der „Nicht-Religion“ Church Of Satan zu machen. Einzig die Predigt, schlechte Energie in gute zu verwandeln, füllt hier die Zeilen. Es ist ja toll, wenn sich ein Mensch aus der Dunkelheit lösen und die positiven Seiten im Leben finden kann – aber dies garantiert noch keine gute und spannende Lektüre.

Was in der Musik für mich super funktioniert – wohl auch, weil es da eher metaphorisch und sprachlich zweitrangig geschieht – ist als geschriebenes Wort leider zu platt und aufdringlich. Dazu kommt, dass die Aspekte seiner musikalischen Karriere eher halbherzig eingewebt und abgetan werden und man hier scheinbar immer wieder zu einem Gebet genötigt wird. Da hatte ich mir mehr erhofft, für knallharte Fans wird aber auch diese Veröffentlichung des Mannes eine Offenbarung sein.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Bruce Springsteen – Born To Run (2016)

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Bruce Springsteen – Born To Run
Verlag: Simon & Schuster, 2016
Autor: Bruce Springsteen
Seiten: 528, Softcover
ISBN: 9781501141515
Link: Goodreads

„Oh-oh, Baby this town rips the bones from your back / It’s a death trap, it’s a suicide rap / We gotta get out while we’re young / `Cause tramps like us, baby we were born to run“
Für viele ist Bruce Springsteen nicht nur ein Musiker, er ist der Boss und steht über allen anderen im Bereich Rock. Aber für genauso viele ist er auch ein klischeebehafteter Stadion-Kitsch-Zampano, der in seiner Musik immer nur von den einfachen Seiten des amerikanischen Traumes singt. Doch wie so üblich, das Extrem wird der Wahrheit nie gerecht. Springsteen, aus einer ärmlichen Familie stammend und in seinem Leben immer wieder mit psychischen Komplikationen konfrontiert, ist vor allem eines: Bodenständig, ehrlich und zurückhaltend. Seine Autobiographie „Born To Run“ ist somit ein Zeugnis eines Lebens, das viel Kraft in ständiger Betrachtung des eigenen und gemeinsamen Lebens findet.

„You sit around getting older / there’s a joke here somewhere and it’s on me“
In den chronologisch angeordneten Erzählungen findet man nicht nur tiefe Einblicke in seine zwischenmenschlichen Beziehungen, seine Liebe zur Musik und seine eigenen Bühnenerfahrungen – sondern auch immer wieder Selbstzweifel und eine Auseinandersetzung mit den Grundsätzen des Daseins. Bei der Lektüre erstaunt dabei immer wieder, wie sich der Roman eher wie einen Bericht eines Arbeiters als eines millionenschweren Rockstars anfühlt.

„41 shots, cut through the night / You’re kneeling over his body in the vestibule / Praying for his life“
Und gerade deshalb war Bruce Springsteen auch immer so wichtig für die Musikwelt – er stellte sich nie über andere und liess in seinen Liedern die unterdrückten und vergessenen Stimmen der Staaten aufleben. Er bezog dabei immer klar Position gegen Ungerechtigkeit, verurteilte aber niemanden direkt. Genau darum versteht man bis heute viele seiner Songtexte falsch, und genau darum ist „Born To Run“ immer wieder ein Augenöffner.

„Down at the court house they’re ringin‘ the flag down / Long black line of cars snakin‘ slow through town“
Egal ob ein Konzert vor 100’000 Menschen, ein Auftritt in einer spärlich besuchten Bar oder Konversationen mit seinem kranken Vater – Springsteen geht alles stark emotional an. Dies packt Hörer wie Leser gleichermassen und wirkt auch in Buchform zeitlos. Man versteht den Erfolg seiner Alben besser, spürt die harte Arbeit dahinter und fragt sich auch: Was passiert, wenn der Boss keine Musik mehr machen kann? Wer gibt uns dann so selbstlos die Kraft zum Weitermachen? „Born To Run“ ist somit ein fantastisches Buch für alle, die Bruce Springsteen lieben, kennen lernen möchten oder endlich verstehen wollen. Und immerzu eine sehr unterhaltsame Lektüre.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Book Challenge 2017 – Alles

Es ist wieder einmal so weit, ein neues Jahr beginnt und somit auch die neuen Vorsätze (Danke an Franzi für die Erinnerung). Im Gegensatz zu 2016 nehme ich mir für meine Lesegewohnheiten aber nicht nur fünf einzelne Bücher vor, sondern wagen ein Experiment:

Jeder kennt den Umstand, den man als Liebhaber des geschriebenen Wortes hat – es liegen immer Unmengen an Romane herum die man seit Jahren lesen sollte. Doch leider gibt es immer noch mehr Schriften, die dazwischen kommen und in dem Moment interessanter erscheinen. Aber damit soll jetzt Schluss sein! Im Jahre 2017 werde ich alle Bücher lesen, die seit Jahren darauf stehen und verstauben, ohne von mir genossen zu werden. Und ja, es sind viele.

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Wie viele es genau sind, möchte ich eigentlich gar nicht wissen – 50 erreicht man bestimmt. Ebenso fehlen auf diesem Bild noch gewisse Sachbücher, die sich in einem anderen Regal zwischen Vinyl und CD verbergen. Doch ich lasse mich nicht bereits im Januar entmutigen, das Jahr ist lange und die Zeit massenhaft vorhanden. Was auch immer passiert, ich versuche nun all diese Bücher zu verschlingen und geniessen, bevor ich mir neue kaufe oder ausleihe.

Besonders zu erwähnen wären vielleicht „2666“ von Roberto Bolano – sein letzter Roman und ein über 1000 Seiten langes Monster. Dann hätten wir die ersten Bände des Scheibenwelten-Zyklus von Terry Pratchett, endlich die komplette Anhalter-Saga von Douglas Adams oder diverse Sachbücher zur Musik und deren Wirkung. Das Lesejahr 2017 wird also weder langweilig noch einseitig – nur muss ich mir wohl verbieten, vor dem Sommer jemals eine Buchhandlung zu betreten. Leider wird dies bereits im März fehlschlagen, da bei einem Aufenthalt in London das Geschäft „Foyles“ einfach besucht werden muss!

Wie auch immer, geniesst eure Bücher, eure Stunden mit vielen Buchstaben und das Durchforsten eurer Regale nach alten „Leichen“.

Und folgt mir doch auf Goodreads.

Patti Smith – Just Kids (2010)

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Patti Smith – Just Kids
Verlag: Bloomsbury, 2010
Autorin: Patti Smith
Seiten: 306, Softcover
ISBN: 9780747568766
Link: Goodreads

Romantik – ein Zustand und eine Vorstellung, die so manche Erlebnisse, Wünsche und Jahre schöner erscheinen lässt als sie wirklich waren / sind. Trotzdem, wenn Patti Smith in „Just Kids“ von ihrer Jugend, ihren künstlerischen Gehversuchen und ihrer nicht immer einfachen Beziehung zu Robert Mapplethorpe schreibt, dann wünscht man sich mehrmals in das New York City der vergangenen Jahrzehnte zurück. Man möchte die Poesie der Armut spüren – wie man sich mit wenigen Cents und Dollars über Wasser hält, man möchte von der Abenteuerlust gepackt werden und mit wenigen Mitteln Kunst erschaffen. Man möchte Patti als beste Freundin in der Gruppe halten und die Welt umgestalten.

Es ist viel dem grossen Talent von Patti Smith zu verdanken, dass diese Biographie nicht zu einer Selbstlobhudelei und verklärten Sichtweise auf alte Zeiten verkommt. Die Künstlerin nimmt eine neue Position als Schriftstellerin ein und betrachtet ihre Beziehung zu Robert aus einer Perspektive, die man so sonst nur bei Romanen antrifft. „Just Kids“ ist keine lose Kette aus Erinnerungen, es ist ein wunderschönes Buch über die menschliche Sehnsucht nach kreativer Befreiung, Loslösung von den Zwängen und dem schwierigsten Zustand der Welt – gegenseitiges Vertrauen und Liebe. Mit genialer Sprache, perfekt gezeichneten Momenten und vielen alten Fotografien lebt die Vergangenheit neu auf.

Primär geht es bei „Just Kids“ nicht darum, wie Patti Smith eine weltbekannte und prägende Musikerin wurde. Es geht um ihre tief reichende Beziehung zum Fotografen Robert Mapplethorpe, um ihre Ängste und Probleme, um das Leben wie es früher war. Man kommt mit diesem Buch Patti extrem nahe und fühlt sich stark mit ihr verbunden. „Just Kids“ ist ein wunderschönes, mitreissendes und perfekt geschriebenes Buch. Romantik hin oder her, hier verschmelzen alle Lebenspunkte zu einem wichtigen und wunderbaren Erlebnis. Auch Schmerz und Tod sind wichtige Bestandteile, doch alles ist aushaltbar, da Patti am Ende die Versöhnung findet. Hoffentlich geht es uns allen auch so.

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