Monat: Januar 2016

Sunn 0))) – Kannon (2015)

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Sunn 0))) – Kannon
Label: Southern Lord, 2015
Format: Vinyl im Gatefold
Links: Discogs, Band
Genre: Drone, Doom

Treibt es weiter, treibt es zum Wahnsinn, treibt es dunkel. Wiederholung ist Erfrischung, der Tod ist das Leben. Neu erwachen leblose Welten, neu erstarken Gefühle. Das Rauschen in deinen Ohren wird zur Hymne, das Flimmern in deinen Augen zu Sonnenstrahlen. Wie weit würdest du gehen, um die unsichtbaren Mächte, welche zwischen uns Menschen herrschen, fassbar und erklärlich zu gestalten? Ist es möglich, als Mensch weitere Ebenen zu erklimmen und die Grenzen auszulachen?

Sunn 0))) aus den USA waren schon immer eine Band, die den Körper aus Fleisch und Blut zu einem neuen Ort transportierte. Sei es während ihren erschütternden Konzerten, oder mit den fast unbeschreiblichen Alben. Stephen O’Malley und Greg Anderson liessen ihre Tonfolgen immer weitab der gewohnten Form erklingen. Drone und Doom, gemischt mit morbider Atmosphäre und Geisterbeschwörung. Mit dem siebten Album „Kannon“ tauchen sie nicht nur tiefer in diese Unmöglichkeiten ein, sie vermischen auch Sage und Wahrheit. Denn obwohl das neuste Werk mit nur drei Tracks erstaunlich kurz geraten ist, versuchen die Musiker, alte Fragen auf neue Art zu ergründen. Ohne klare Worte und mit fliessenden Gitarrenriffs – die einzelnen Stücke weisen keine Merkmale und Unterscheidungen auf, sondern wabern und dröhnen beängstigend durch die Zimmer. Fast rein instrumental gehalten verschwimmen bei „Kannon“ die Grenzen zwischen Ambient und Metal. Strukturlose Soundgewächse fressen Lieder, Geräusch erschlägt Lied. Das Grundkonzept über Guanyin liess sich ohne Begleittext zwar nicht entziffern, fügt der Musik aber eine spannende Ebene hinzu.

Im Gegensatz zum Meilenstein „Monoliths & Dimensions“ werden Sunn 0))) auf ihrem neusten Album zwar Gefangene ihrer eigenen Formel, faszinieren aber weiterhin. Die Band bleibt weiterhin ein unangenehmer Zeitgenosse, nur stimmig für Hörer mit sehr toleranter Einstellung zur Musik. Denn bei dieser Platte ist das Duo nicht nur an einem komplett abstrakten Punkt angelangt, sondern läuft auch Gefahr, sich zu verlieren. Ohne die sakralen Momente und wunderschön verwesenden Riffharmonien wäre „Kannon“ leider beliebig.

Anspieltipps:
Kannon 1, Kannon 2

Live: Threshold, Kiff Aarau, 16-01-20

Threshold
Support: Damnation Angels, Spheric Universe Experience
Mittwoch 20.01.2015
KiFF, Aarau

Vielleicht war es doch keine so gute Idee, Lehrer und Schüler am gleichen Abend auftreten zu lassen. Denn wer kennt dies nicht von früher – zuerst geben sich die kleinen Knöpfe redlich Mühe, nicht all zu schlecht zu klingen, danach plustert sich der Meister vor den Besuchern auf und verliert sich in seiner holprigen Virtuosität. Schlussendlich war es dann allen irgendwie peinlich. Ganz so schlimm wurde es an der neusten Auflage von „Metal Mayhem“ im KiFF diese Woche zwar nicht, gewisse Fragezeichen blieben mir aber auf dem Weg nach Hause schon im Kopf. Vielleicht eignet sich der melodische und überschwängliche Prog-Metal auch nicht für kritische Zeitgenossen, die älter werden.

Threshold muss man aber zugutehalten, dass sie wahrlich Meister in ihrem Fach sind. Seit den 80er Jahren verstehen es die Mannen aus England clever, harte Gewitter und zuckersüsse Umarmungen zu kombinieren. Verbindend war auch an diesem Auftritt wieder Damian Wilson – der Sänger, der mehrmals ausstieg und wieder zur Band stiess. Er ist nicht nur ein begnadeter Performer, sonder extrem sympathisch und wortgewandt. Zwischen den Stücken plauderte er frischfröhlich mit den Gästen und stand dabei nie still. Solche Bewegungskurven vollbringt er auch mit seiner Stimme, untermalt er die wilden Lieder von Threshold doch mit Melodien, die aus tiefen Tälern in hohe Lüfte aufsteigen. Der Progressive Metal wurde bei dieser Band schon seit je mit viel Kitsch aufpoliert. So überlagern sich Keyboard und Gitarren gleichzeitig mit Harmonien, eingespielte Orchester und Samples machen aus den sechs Mannen eine Armee.

Glücklicherweise findet man in den Songs von Threshold aber genügend Aggressivität und harte Breaks, die aus dem Zuckerapfel schnell eine Handgranate werden lassen. So spürte man auch nach dem Konzert in Aarau wieder die Kratzspuren am Rücken und die Erschütterungen im Trommelfell. Neueres wie „Mission Profile“, „Slipstream“ oder „The Box“ machte sich breit und ging in Kampfstellung, die alten Phasen wurden eher vergessen. Die Band befindet sich im Jetzt und trauert nicht gross ihren vergangenen Zeiten nach – und klingt dadurch immer noch aktuell und topfit. Die Musiker spielten punktgenau und euphorisch, besonders Schlagzeuger Johanne James – der wirbelte seine Stöcke durch die Luft und schnitt dazu Grimassen. Somit zeugten die Engländer erneut davon, in dem Fach der technischen Drachentöter Anführer zu sein.

Die beiden weniger bekannten Bands, welche den Abend eher mittelmässig einleiteten, konnten die Besucher nicht wirklich begeistern. Damnation Angels starteten theatralisch und mit riesigen Gesten – ihre Lieder steckten aber regelmässig im Sumpf fest und klammerten sich verzweifelt an Klischees von symphonischem Rock. Irgendwie machte es aber doch Laune, was man von Spheric Universe Experience leider nicht behaupten kann. Die Gruppe aus Frankreich versuchte ihren Metal mit vielen Anteilen des Prog anzureichern, schien aber harmoniesüchtig und hat leider einen mittelmässigen Sänger. Es war somit ein Abend für Liebhaber des Genres, mit dem erwarteten Highlight Threshold. Für Menschen, die sich in eher komplexe und überraschende Musik stürzen wollten, war der Besuch im KiFF ein Fehlgriff.

Live: Frank Turner, Volkshaus Zürich, 16-01-19

Frank Turner And The Sleeping Souls
Support: Skinny Lister, Will Varley
Dienstag 19.01.2016
Volkshaus, Zürich

Seelig singen hunderte von Kehlen gemeinsame Lieder über Liebe, harte Zeiten und Hoffnung. Das Bier schwappt über den Becherrand, der Schweiss läuft über die Stirn, man fühlt sich wieder wie in London in einem dunklen, aber gemütlichen Pub. Dabei hat Frank Turner einen weiten Weg hinter sich und man feiert heute mit ihm in grösseren Hallen. Das Volkhaus in Zürich fasst über 1000 Menschen und der enge Tresen mit Dartscheibe ist meilenweit entfernt. Egal wie breit der Graben vor der Bühne ist, egal wie viele Scheinwerfer Schatten an die Decken und Wände werfen, man ist immer noch unter Freunden und alles wirkt intim.

Dazu trägt die offene und sympathische Art des Sängers und Gitarristen viel bei. Nie spielte es eine Rolle, unter welchen Umständen der Mann musizierte – in einer Punkband, als alleiniger Singer-Songwriter oder wie nun, mit einer vierköpfigen Band und melodischen Umarmungen. Immer war seine Musik ehrlich, seine Texte lebensnah und seine Gesinnung offen. Immer wieder ruft er zum gemeinsamen und toleranten Lebensstil auf, lässt die Fremden miteinander hüpfen und tanzen. Passend dazu sind die Lieder seines neusten Albums „Positive Songs For Negative People“ noch lockerer und zugänglicher als bereits bekannte Hits. Keyboard und Gitarren haken sich ein, Refrains gehen perfekt ins Ohr. Am wildesten wurde das Publikum während des atemlosen Konzertes trotzdem bei den Gassenhauern.

Crowdsurfer machten es vor, dank des Geburtstages von Keyboarder Matt Nasir durften die Leute sogar Kuchenstücke an die Crewmitglieder weitergeben, natürlich über ihren Köpfen. Dies sorgte nicht nur bei den Besuchern für verschwitzte Hemden, auch Frank und seine Musiker gaben alles. Pausenlos stürzten sie sich von Song zu Song, die Tourflagge – welche von Konzert zu Konzert weitergereicht wird – wedelte, eine riesige Energiemenge entfaltete sich. Unglaublich, zu was die Leute in Zürich an einem Dienstagabend fähig sind. Wobei viel Dank auch den Vorbands gilt, wussten sie es doch gezielt die Besucher anzuheizen.

Skinny Lister aus London liessen die Puppen tanzen und spielten ausgelassenen Folk-Rock mit vielen Irish-Einflüssen. Bassist Michael Camino wirbelte seinen Kontrabass durch die Luft und ging sogar damit in der Menge baden. Obwohl mir die Lieder etwas zu durchschnittlich waren, machte der Auftritt Spass – als ob Flogging Molly kurzerhand Belle And Sebastian verspeist hätten. Ruhiger und näher am Pub war der erste Künstler auf der Theaterbühne. Will Varley erkämpfte sich die Herzen mit nur einer akustischen Gitarre und seinen wundervollen Texten und Sprüchen. Egal ob er die Geschichte der Zeit und Menschheit punktgenau nacherzählt, oder satirisch von Politikern und Katzenvideos singt, launig und erfrischend wurde man in einen wilden Abend eingeführt. Immer schön zu sehen, dass die Musikszene in England so lebendig ist und Fremde zum gemeinsamen Ausrasten führt.

Samantikus – Pattern (2016)

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Samantikus – Pattern
Label: Eigenveröffentlichung, 2016
Format: Download
Links: Facebook, Bandcamp
Genre: Instrumental, Hip-Hop, Beat

Gemütlich ging Jamie XX eines Tages im Park spazieren, die Sonne schien ihm ins Gesicht und frische Melodien kreisten ihm im Kopf herum. Auf seinem Weg durch den Tag traf er auf den jungen Amon Tobin, der sich nicht nur seinem Pfad, sondern auch den Beats anschloss. Gemeinsam hüpften sie nun fröhlich durch die Soundwiesen und besuchten die 90er Jahre, aktuelle Electronica und glitchten sich durch die gewollten Löcher. Und ohne, dass dabei Gesang erklingt, fühlt man sich während 14 Tracks wunderbar unterhalten.

Natürlich steckt hinter „Pattern“ nicht ein weltbekannter Tüftler, sondern der junge und frische Samantikus. Ein Musiker und Produzent aus der Kleinstadt Zofingen, der bereits bei diversen kleinen Talenten für Erweiterung und Untermalung sorgte. Mit seinem ersten kompletten Album bietet er uns nun eine Platte an, für die er scheinbar mühelos instrumentale Lieder aus dem Ärmel geschüttelt hat. „Pattern“ ist zwar ein Debüt, man spürt aber zu jeder Sekunde die vielen Erfahrungen und Überlegungen, die eingeflossen sind. Dieser Mann kennt sich mit seiner Musik aus – trotzdem ist es wundersam, dass hier alles durch Samantikus eingespielt und komponiert wurde. Funk und Hip-Hop reissen Keyboardformen an sich, Beats und Harmonien verbiegen den Pop. Daneben gesellen sich entspannte Akkorde zu den Melodien und nicken im Takt – alles findet sich auf dem gemütlichen Fest ein. Die Tracks auf „Pattern“ sind derweil doppelt gewichtet: Auf der einen Seite wunderbare Instrumentals, die in sich aufgehen und in ihrer Kürze Spannung und Dichte vorweisen. Andererseits aber auch die perfekte Grundlage für würzigen Rap, waghalsigen Gesang und tolle Textzeilen. Wer weiss, vielleicht wagen sich ja Künstler an diese Grundstrukturen und erstellen „Traces – Pattern 2“.

Samantikus erheitert uns die Tage mit seinen Beatspielereien und hat einen wundervollen Erstling geschaffen. Die Lieder sie nie langweilig und funktionieren wunderbar ohne Gäste oder MCs, die Strukturen versprechen eine unbekümmerte Herangehensweise an die Musik und viel Hintergrundwissen. Erstaunlich, dass mit Samantikus schon wieder ein Talent aus dem Aargau erscheint und viel Neues zu sagen hat. Was wird uns wohl als nächstes erwarten?

Anspieltipps:
Samuca, Lovely Peaces, Sunnyshining

Steven Wilson – 4½ (2016)

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Steven Wilson – 4½
Label: Kscope, 2016
Format: Vinyl mit Download
Links: Discogs, Künstler
Genre: Prog, Rock, Art-Rock

Ich kriege nicht genug von diesem wunderbaren langhaarigen, barfüssigen und brillentragenden Musikgenie. Egal wie oft ich neue Alben von ihm höre, Konzerte besuche und über Lieder schreibe, es ist immer zu wenig. Passend dazu ist natürlich der Umstand, dass Steven Wilson unermüdlich an seinem Erbe arbeitet und Meisterwerk um Meisterwerk raushaut. Wobei „4½“ im eigentlichen Sinne kein Album darstellt. Wilson vermengt auf dieser neuen Platte unbenutzte Lieder von „Hand.Cannot.Erase.“, ein Schatten vom Raben und eine Neuaufnahme eines bekannten Freundes.

„My Book Of Regrets“ eröffnet den Zwitter aus EP und LP und spielt auf jeder Position. Das Lied nimmt die wilden Tanzschritte des Prog an, schwelgt in der emotionalen Verteidigung des Art-Rock und tangiert während den zwölf Minuten alle Bereiche des Wilson-Kosmos. Erstaunlich ist hierbei, dass es mit seiner Wucht und Kühnheit nicht den Ton des Albums angibt, sondern für sich alleine steht. Die folgenden Stücke bleiben eher zahm und geniessen Schönheit in ihrer Form. Wegen seiner intensiven Form und Geschlossenheit bot der Vorgänger keinen Platz für die instrumental gehaltenen Zwischenspiele wie „Year Of The Plague“, hier erhalten sie aber endlich die verdiente Plattform. Denn qualitativ steht „4½“ weder im Schatten der grossen Alben, noch will es eine Resteverwertung darstellen. Schliesslich würde kein Künstler einen solch göttlichen Refrain wie bei „Happiness III“ freiwillig zurückhalten und als Nebensache abtun – oder die grossartigen Breaks und Wechsel bei „Vermillioncore“ in der Hütte verstecken. Und dank der traumhaften Stimme von Ninet Tayeb fügt sich auch „Don’t Hate Me“ perfekt ein. Weg mit Porcupine Tree und Vergangenheit, her mit Zukunft und Eigenständigkeit.

Steven Wilson bleibt sich seiner Kunst und Darstellung auch bei „4½“ treu, man findet sich schnell ein und schmiegt sich an die Instrumente und Gesänge. Obwohl alle Lieder wunderschön sind, wünscht man sich am Ende doch, die Platte wäre doppelt so lang und weniger auf Kurzstücken basierend. Konzeptuell wird man hier schliesslich nicht so stark verwöhnt wie bei der Hand. Trotzdem, ein Muss für alle Fans, Freunde und Geniesser des modernen Art-Rock.

Anspieltipps:
My Book Of Regrets, Happiness III, Vermillioncore

Live: Moscow Mule, Ochsen Zofingen, 16-01-23

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Moscow Mule
Samstag 23.01.2016
Ochsen, Zofingen

Ein Konzertjahr beginnt man meist nicht einfach so, spielt und reitet dann weiter zum nächsten Lokal. Viel schöner ist es doch, die ersten Lieder vor Freunden und in seiner Heimstätte erklingen zu lassen. Die hübschen Maultiere aus Zofingen schleppten ihre Koffer am letzten Samstag somit in den Ochsen und führten eine alte Tradition weiter: Schon immer wurden in diesem alten und ehrwürdigen Saal die regionalen und kleinen Bands gefördert. Und auch unter der neuen Leitung vom Beizenbesitzer wird dies nun weitergeführt. Nachdem bereits 2015 viele Gruppen ihr Können unter Beweis stellten, wussten bei Moscow Mule alle: Die können was.

Somit fanden sich nicht nur pünktlich und gut gelaunt viele Bekannte und Kenner im Saal ein, sondern auch weit Gereiste (wer toppt Berlin?) und Neugierige. Und die Band enttäuschte niemanden, denn gleich von Beginn ihres Sets zeigten sie, dass eine Mischung aus düsterem Rock und abgewandtem Punk keinesfalls trostlos sein muss. Mit erfinderischen Gitarrenmelodien und wunderbaren Taktwechseln machen ihre Lieder immer wieder einen Sprung, der unberechenbar und lebensfreudig ist. Als ob die Songs selber kleine Tierchen wären, und sich nicht immer brav in der Herde halten wollen. Und da alle Musikerinnen und Musiker der Band sehr umgängliche Menschen sind, wird ein solches Verhalten auch nicht bestraft.

Vielleicht merkte man der Gruppe die Nervosität auf der Bühne dieses Mal etwas stärker an, gewisse Schnitzer waren doch auszumachen. Aber wer will schon perfekt sein, schliesslich geben Moscow Mule nicht 200 Konzerte pro Jahr – obwohl es bestimmt bald soweit ist. Denn nicht nur die geliebten Lieder von der EP wie „Rain Dancer“ oder „Mr. O Connor“ sorgten für viel Applaus, auch die neueren Stücke wie der radioaktive Panda unterhalten wunderbar. Grosser Pluspunkt sind natürlich die Texte, die ausserhalb der Band erdacht werden. Mit wenigen Worten und punktgenauer Landung entfalten sie viel vom Charme. Es war also nicht nur für die Band, sondern auch für die Zuschauer ein super Start in ein Jahr voller Konzerte, toller Bands und tierischer Unterhaltung. Zuerst Zofingen, dann die ganze Welt.

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Media Monday #239

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Der Januar wäre schon fast wieder geschafft, unglaublich wie das Jahr bereits vorbei zieht. Ganz unschuldig ist daran der Medienjournal nicht, zähle ich doch dank diesen Lückentexte die Wochen. 😉

1. Wäre doch mal angenehm, wenn häufiger richtig frische Ideen in Filme verwandelt würden, so wie etwa zuletzt in „Anomalisa“, ein Film der oft ganz still und realistisch menschliche Probleme mit Puppen darstellt. Charlie Kaufmann stolpert zwar etwas bei der Regie, so wirkt der Film nicht wirklich rund, trumpft aber wieder einmal mit dem Drehbuch auf. Und die Bilder sind wunderschön.

2. „Naked“ von Mike Leigh hat mich ja früher mal gereizt, mittlerweile allerdings habe ich den Film gesehen und bin etwas unsicher. Franzi besuchte die Schweiz und brachte die DVD mit, und ich habe mich auch wunderbar unterhalten. Doch die Figuren und Aufnahmen sind teilweise so abgedreht, dass ich den Streifen wohl noch einige Tag verarbeiten muss. Und dann dieser Schnurrbart.

3. Rückblickend hätte ich ja gerne die Lebenszeit, die ich für schlafen vergeudet habe, zurück, denn mit diesem 6-8 Stunden pro Nacht könnte man so viele Dinge erledigen, die sich im Alltag immer anstauen. Obwohl, nach einem ereignisreichen Tag glücklich und erschöpft unter die Decke zu kuscheln ist ja auch wunderbar.

4. Ellen Page spielt gefühlt immer dieselben Rollen, schließlich ist sie immer diese junge und aufgestellte Frau, die mit ihrem Witz und ihrer Lebensfreude den Alltag bekämpft. Das macht aber immer viel Laune, darum war dies nie ein negativer Punkt. Auch beim Trailer von „Freeheld“ nickt man nicht nur interessiert den Kopf, sondern jubelt über all diese wundervollen Schauspieler, die hier versammelt sind. Inhalt und Charaktere werden zweitrangig.

5. Eines der Bücher, die ich in nächster Zeit unbedingt lesen möchte/sollte ist „How Music Works“ von David Byrne. Der Mann ist nicht nur ein grossartiger Künstler, sondern auch ein kluger Kopf. Ebenso stehen noch vier Bücher meiner Challenge an, und 6 Bände im „The Dark Tower„-Zyklus.

6. Das Überangebot an Serien einmal vernachlässigend, freue ich mich ja derzeit am meisten auf „Luke Cage“, die zweite Staffel von „Bad Blood“ und endlich mal „Twin Peaks“ anzuschauen. Netflix will mich ja mit einer neuen Serienstaffel pro Woche in die Knie zwingen, aber da gebe ich mich noch lange nicht geschlagen.

7. Zuletzt habe ich endlich wieder einmal ein alter Textentwurf hervorgekramt und das war erstaunlich produktiv, weil ich die Geschichte nicht nur neu gestartet, sondern auch gleich über 2000 Wörter aufs Blatt gebracht habe. Hoffentlich wächst das Projekt nun auf mehr als 10 Seiten an, endlich Bestseller-Autor zu werden, das wäre cool. 😉

heklAa – Songs In F (2015)

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heklAa – Songs In F
Label: Fluttery Records, 2015
Format: Download
Links: Bandcamp, Künstler
Genre: Post-Rock, Klassik

Sébastien Touraton, du machst das extra, oder? Zuerst benennst du dein Soloprojekt nach einem Vulkan in Island. Dann begibst du dich für zwei Reisen auf die Insel und kommst mit Songs zurück, die an Sigur Ros erinnern und mich als Autor fast zwingen, die alten Klischees über Post-Rock auszugraben. Dabei wäre es doch gerade in dieser Musikrichtung wichtig, neue Wörter für die Klänge zu finden. Schliesslich handelt es sich bei „Songs In F“ um ein Album, dass den Hörer mit grossartigen Kompositionen zum Träumen bringt. Egal ob man sich unter einer dicken Eisschicht wähnt oder in Ströme voller Lava stürzt, heklAa ist ein Ereignis.

Erhaben und mit gesundem Stolz tritt einem „thousAnds of comets Are fAlling down on eArth“ entgegen und erwartet den Hörer wie ein Freund am Flughafen. Gemeinsam steigt man in ein robustes Fahrzeug und unternimmt eine Fahrt in die Natur. In der Sonne glitzern die Eiszapfen, leise tropft Schmelzwasser von den Nadelbäumen. Je weiter man vordringt, desto steiniger wird der Untergrund, doch die Räder holpern in wundersamen Rhythmen, der Wind singt dazu seine Worte. Der Berg steigt immer mehr an und der Gipfel ist bald erreicht, dahinter lauert ein Abgrund. Jedes Geräusch wird zu einem Orkan, die Wärme des geschmolzenen Boden schlägt ins Gesicht. Doch alles ist gut, „being steindor Andersen“ begleitet uns wieder zurück in die Sicherheit.

Mit nur vier Liedern erreicht heklAa eine Meisterleistung. Der instrumentale und der Klassik angelehnte Post-Rock wird von einem variantenreichen Klavier getragen, Keyboards untermalen die Arrangements mit Bläserformen. Das verstärkt nicht nur die Emotionen extrem, es öffnet die Musik zu einer unbeschreiblichen Grösse. Wenn das Schlagzeug wie beim Anfang von „bAck to JokulsArlon“ agieren darf oder sich durch die Schichten wirbelt, wenn sich die Akkorde häufen, wenn sich im Hintergrund der Gesang einen Platz erkämpft, dann steht man ehrfürchtig vor „Songs In F“. Nicht nur nimmt sich der Künstler genau den Raum und die Zeit, die seine Musik braucht, er komponiert und spielt auf höchstem Niveau. Man spürt, wie die Songs einen mitziehen, wie die Harmonien perfekt aufgehen und wie alles scheinbar leichtfüssig an seinen richtigen Platz fällt.

Egal ob die Musik bedrohlich dröhnt oder versöhnlich tanzt, Sébastien Touraton hat mit den vier Stücken etwas erschaffen, das scheinbar unmöglich von einem Menschen erdenkt und gespielt werden kann. Das höchste Niveau wird erreicht und der Künstler muss sich auf keinen Fall vor grossen Meistern der modernen Klassik und des Post-Rock verstecken. Was mit „Pieces Of You“ bereits das Genie gestreift hat, blüht nun in „Songs In F“ auf und festigt die Position von heklAa.

Anspieltipps:
thousAnds of comets Are fAlling down on eArth, bAck to JokulsArlon

Martin Gore – MG Remix EP (2015)

Martin Gore mg Remix EP

Martin Gore – MG Remix EP
Label: Mute, 2015
Format: Download
Links: Discogs, Künstler
Genre: Remix, Electronica, Techno

Depeche Mode und Remixe haben eine lange und ergiebige Tradition, wieso sollte es da also beim Soloabenteuer von Martin Gore anders sein? Der Hauptkomponist der Synth-Pop Legende hat im Frühjahr 2015 mit „MG“ sein zweites Album vorgelegt und bietet nun eine hübsche Erweiterung der Platte unter dem Titel „MG EP“. Und nicht nur der Name wird hier mit Grossbuchstaben geschrieben, auch die Musik zeigt sich extrovertiert und weiterführend.

So hat es Gore geschafft, für diese EP namhafte Produzenten des elektronischen Faches zu verpflichten, die den Geist seiner Musik in neue Flaschen verbannen. Im Gegensatz zur Märchenfigur muss man hier aber nicht lange daran rumfummeln, um das Resultat zu erhalten, denn die Veränderungen sind offensichtlich. Andy Stott tritt wie gewohnt im reduzierten Gewand auf, wie man ihn gerne vernimmt – Virgil Enzinger macht aus „Brink“ ein Erlebnis wie eine Filmspur. Die Electronica nimmt Überhand und verdrängt den Techno etwas in träumerische Sphären. Schlanke Strukturen, trainierte Körper und Ambient – niemand will sich aufdrängen. Somit erhält „MG EP“ eine Tiefe und kräftige Wirkung, die das eigentliche Album sogar in den Schatten stellt. Gore lässt sich dies aber nicht zwei Mal sagen und doppelt mit „De Nada“ und „Gifting“ nach. Hier zeigt der Mann sein Können am Sequenzer und den brodelnden Bassrhythmen.

Remixe können Spass machen und dem Original neue Facetten entlocken. Genau dies ist hier gelungen, den Ausreisser nach unten von Mantra Of Machines vergessen wir einfach frech. „MG EP“ bietet somit während fast 40 Minuten neue elektronische Musik mit Emotion und Druck. Dass es dazu nicht immer ballern muss, sollte jedem klar sein. Jetzt sollte Martin Gore diese Euphorie nur noch auf seine Hauptband übertragen können.

Anspieltipps:
Brink (Virgil Enzinger Remix Vinyl Edit), De Nada, Gifting

Steve Jansen & Richard Barbieri – Stone To Flesh (1995)

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Steve Jansen & Richard Barbieri – Stone To Flesh
Label: Medium Productions Limited, 1995 / Remaster Kscope, 2015
Format: CD im Digipak
Links: Discogs, Jansen, Barbieri
Genre: Art-Rock, Ambient, Jazz

Das Kscope-Label ist nicht nur die Heimat vieler interessanter und visionärer Künstler, sondern sorgt auch gerne dafür, dass diese Menschen zusammenfinden und ihre Ideen gemeinsam neu formen können. Und obwohl die Zusammenarbeit von Steve Jansen und Richard Barbieri in den 90ern woanders veröffentlicht wurde, blüht sie nun neu gemastert und erweitert wieder auf. „Stone To Flesh“ erforscht den Art-Rock aus allen Perspektiven und bleibt dabei immer ruhig und gesittet. Ein wunderbares Album für Klangsammler und Schatzsucher.

Steve Jansen wurde mit der Band Japan bekannt, in der auch sein Bruder David Sylvian mitspielte. Nicht viel später fand er mit Richard Barbieri (bestens bekannt als Keyboarder von Porcupine Tree) einen Bruder im Geiste und spielte mit diesem mehrere Alben ein. „Stone To Flesh“ war die dritte Kollaboration der nachdenklichen Musiker und gefällt mit seinen langen und sanft entfaltenden Songs. Die Struktur in den Liedern ist nicht immer gleich ersichtlich, bereits der Opener „Mother London“ verlangt Aufmerksamkeit und ein gutes Gedächtnis – denn alles bricht nach sechs Minuten in sich zusammen, um wieder frisch gestartet zu werden. Dieses Mittel setzt die Musik gerne ein, schichtet Lieder um und bricht die Strukturen auf. Oft prallen synthetische Momente auf analoge und verbinden sich zu einer grossen Welle, man reitet darauf oder geht unter. „Sleeper’s Awake“ setzt dabei auf einen grossen perkussiven Anteil und verzerrt die Rhythmen merkwürdig elektronisch. Nicht selten denkt man bei diesen Klängen an den Art-Rock-Meister Peter Gabriel, gewisse Tracks würden sich auch auf seinen Platten gut machen. Das zeigt sich auch bei den Stimmungen die hier entstehen, die Musik erzählt eine Geschichte und man fühlt sie, als würde man in einem kleinen Boot auf dem Meer treiben. Akzente setzen Gäste wie Steven Wilson oder h, die Harmonika darf einspringen. Der Gesang bleibt meist Nebensache und eher ein Flüstern, dies tut der Musik aber gut. Es gibt schliesslich viel zu entdecken und zu entwirren.

Mit dem Remaster darf „Stone To Flesh“ nun endlich so glänzen, wie es damals wollte. Jansen und Barbieris Ideen reizen und funktionieren immer noch, auch der neu aufgenommene Song „Map Of Falling“ fügt sich gut in das Werk ein. Somit ist diese Wiederentdeckung eine sehr spannende Kombination aus experimenteller Electronica, Ambient, Jazz und Art-Rock. Was halt kluge Köpfe alles so mit sich bringen, wenn sie gemeinsam hinter den Instrumenten stehen.

Anspieltipps:
Mother London, Sleeper’s Awake, Closer Than „I“