Monat: Juni 2017

Noga Erez – Off The Radar (2017)

Noga Erez – Off The Radar 
Label: City Slang, 2017
Format: Download
Links: Facebook, Künstlerin
Genre: Dance-Pop, Electronica

Wer nicht sprechen darf, der soll um so lauter singen – und genau darum ist es wunderbar anzusehen, wie immer mehr weibliche Künstlerinnen und Musikerinnen überall auf der Welt ihre Stimme erheben und gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung ankämpfen. Israel war trotz seiner eher schmerzhaften und bis heute sehr komplizierten Geschichte immer ein guter Nährboden für neue Musik, und so dürfen wir mit “Off The Radar” das beeindruckende Debüt von Noga Erez erleben.

Die Sängerin aus Tel Aviv sorgte nämlich bereits mit ihrer ersten Single “Dance While You Shoot” für ordentlich Furore, ist dieser Pop-Track doch ein zerstückeltes Auskotzen und ein ordentliches Sperrfeuer. Nicht nur dank dem vertrackten Rhythmus und der minimalistischen Struktur, sondern auch den wichtigen und politischen Aussagen. Auch wenn auf “Off The Radar” gewisse Lieder daherkommen, als möchte Noga Erez mit ihrem Dance-Pop-Gewand nur unterhalten – unter der Oberfläche brodelt es. Synthies und Drumpatterns werden zu Waffen, die Texte geben den intoleranten Missetätern den Rest.

Noga Erez macht dies gleich mit den Songnamen klar und lässt “Global Fear” neben “Muezzin” und “Toy” tummeln. Dabei werden auch klanglich immer wieder neue Einschläge gewagt und viele Lieder und Zwischenteile geben sich genauso komplex wie auch wieder zugänglich. “Off The Radar” bleibt somit mit seinen 15 Liedern immer hochspannend und brandaktuell – und die erst 27-jährige Künstlerin ein neuer Fixstern am elektronischen Pop-Himmel. Bleibt nur zu hoffen, dass dieser in Zukunft nur noch von Partys und nicht mehr durch Explosionen erleuchtet wird.

Anspieltipps:
Dance While You Shoot, Global Fear, Muezzin

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

La Muerte – Headhunter (2017)

La Muerte – Headhunter
Label: Mottow Soundz, 2017
Format: Download
Links: Discogs, Band
Genre: Industrial, Dark Rock

Da kreuzen sich die Klingen auf dem Cover und der Hintergrund erstrahlt in tiefstem Blutrot – aber die Rückkehr der belgischen Legendentruppe La Muerte ist schliesslich auch nichts für schwache Gemüter. Denn die Band, welche sich 1984 bis 1994 in der Szene für ihre harte, düstere und gnadenlose Rockmusik mit Industrialherz einen dreckigen Platz erschaffte, bestieg 2015 wieder mit Altar, Sackmaske und harten Riffs die Bühnen. Und schon bald zeigte sich, dass die Herren weder etwas verlernt haben, noch solche Musik überholt ist. Vergangenheit und Zukunft – auf “Headhunter” kreuzt sich einiges.

Veröffentlicht zum diesjährigen Record Store Day, bietet die Scheibe den Kollaborationssong “Headhunter”, welcher La Muerte mit Front 242 zusammenbrachte, sowie einige Remixes von älteren Liedern. Dabei fällt beim krachend verzerrten Klang schnell auf, dass Zeus hier seine Klauen im Spiel hatte. Der Industrial ist lärmend, roh und energetisch – und dank Künstlern wie Scarabee und The Weathermen stark elektronisch. Stücke wie das dröhnende “Kustom Kar Kompetition” oder das synthetische “Ecoute Cette Priere” profitieren davon.

“Headhunter” ist somit natürlich keine normale oder für jedermann zugängliche Scheibe, alte Jünger und Neugierige erhalten hier aber eine klanglich breite Wiederbelebung von La Muerte. Plötzlich geben sich EBM und Dark Rock die Hand, oder schlagen zumindest ihre Macheten gegeneinander. Ganz ohne Schnittwunden findet diese EP aber nicht ihr Ende, und für die richtige Narbenbildung fehlen die neuen Songs. Aber immerhin, die Belgier scheinen fürs erste bleiben zu wollen – das beruhigt.

Anspieltipps:
Headhunter, Ecoute Cette Priere, Wack This Guy

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Riverside – Lost ’n‘ Found – Live in Tilburg (2017)

Riverside – Lost ’n‘ Found – Live in Tilburg
Label: Eigenveröffentlichung, 2017
Format: Doppel-CD im Digipak
Links: Discogs, Band
Genre: Art-Rock, Prog

Es tut nicht nur gut, es fühlt sich sogar wunderschön an, diese Aufnahme aus dem Jahre 2015 zu hören. Denn obwohl die polnische Progressive Rock Truppe Riverside auch in diesem Jahr wieder auf Tour ist und in ganz Europa die Menschen mit ihrer Musik auf Reisen mitnimmt – nach dem plötzlichen Tod des Gitarristen Piotr Grudziński wird es nie mehr dasselbe sein. “Lost ‘n’ Found – Live in Tilburg”, die von der Band selbstveröffentlichte Konzertaufnahme, ist also nicht nur ein weiteres Merchandise an den aktuellen Konzerten, sondern der Schlusspunkt einer Ära.

Es passt darum sehr gut, dass die Setliste aus vielen eingängigen und mitreissenden Liedern besteht. Denn wer verspürt keine Gänsehaut bei Liedern wie “Lost”, “We Got Used To Us” oder “Feel Like Falling”? Und wer will nicht jedes Mal, wenn Mariusz Duda zu seinem fesselnden Bassspiel von “Panic Room” ansetzt, im Haus herumspringen? Allgemein ist es immer wieder erstaunlich, wie Riverside zu viert diese klangliche Fülle ohne Fehler hinkriegen. Dazu hangeln sie sich ohne Probleme durch technische Herausforderungen und klingen auch bei “Hyperactive” oder dem härter auftretenden “Egoist Hedonist” entspannt – und vergessen den Humor im Prog Rock zu keiner Sekunde.

Sicherlich, die frühe Phase von Riverside ist etwas in der Minderheit, aber mit sphärischen Grosswerken wie “Escalator Shrine” oder dem hymnischen “Conceiving You” kann man einfach nur in den Gitarrenmelodien und Keyboardflächen schwelgen. Und bald kullert einem eine Träne über die Wange – doch nicht aus Verzweiflung, sondern aus Dankbarkeit. “Lost ‘n’ Found – Live in Tilburg” ist das perfekte Andenken an Piotr und die damalige Tour – und macht den Weg für eine neue Zukunft frei.

Anspieltipps:
Feel Like Falling, Panic Room, Escalator Shrine

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Phallus Dei – Black Dawn (2017)

Phallus Dei – Black Dawn
Label: Dark Vinyl Records, 2017
Format: Download
Links: Discogs, Band
Genre: Doom, Ambient

Wer sich nach 25 Jahren immer noch in der Dunkelheit versteckt, der muss diese lichtlose Umgebung eindeutig lieben. Phallus Dei, die Könige des unheimlichen Doom-Drone aus Deutschland, finden die Abgründe auch 2017 immer noch spannend. Und wenn man schon ein Vierteljahrhundert besteht, dann darf man sich selber auch etwas feiern. So findet man auf “Black Dawn” nicht nur fünf neue und gerne auch verstörende Kompositionen, sondern einige Gastauftritte, die tief unter den Haarwurzeln graben. Und auch wenn der Einstieg mit “Slewed” noch wunderbar konventionell passiert: Schnell ändert sich alles.

Denn Phallus Dei, welche sich damals nach einem Album von Amon Düül II benannt haben, mischen ihren industriellen Drone aus tief gestimmten Gitarren gerne mit minimalistischer Musik. Elektronische Elemente und Einsätze von Cello oder Blasintrumenten verleihen der Musik auf “Black Dawn” eine neue, apokalyptische Ebene und machen die Stücke noch hypnotischer. So nimmt sich “Starman” viel Zeit für den Aufbau, steigert sich aber mit jeder Minute zu einer immer grösseren Soundwand. Oder dann ist da “Zauberwald”, das sich mit Perkussion und Streichern zu einem Horror-Hörspiel entwickelt. Die Lieder bleiben immer interessant, sogar bei Laufzeiten von knapp 20 Minuten.

Je weiter man sich auf dieser Scheibe vorwagt, desto düsterer und gnadenloser erscheint einem die musikalische Umgebung – doch die erlösenden Akkorde des Ambient helfen. Merzbow nutzt diese Gelegenheit, um als Gast alles zu verzerren und die Musik noch epischer wirken zu lassen. Schönes Beispiel ist “Krieger” mit seinen Perkussions-Explosionen oder der Abschluss durch den Post-Punk-Drone “Stigmata”. Es ist somit also bewiesen, dass Phallus Dei weiterhin die dunklen Lords der bitterbösen Szene sind und wunderbar überraschen können.

Anspieltipps:
Starman, Zauberwald, Krieger

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Yes I’m Very Tired Now – Wait (2017)

Yes I’m Very Tired Now – Wait
Label: Coldkings, 2017
Format: Download mit Booklet
Links: Facebook, Künstler
Genre: Indie-Pop, Electronica

Mit seinem zweiten Album “Wait” bestätigt Musiker Marc Frischknecht weiterhin, dass sein Künstlername nicht zufällig gewählt wurde. Denn wie schon auf der Scheibe “Hide & Seek” gibt es hier elf zurückhaltende und introvertierte Lieder im Spannungsfeld des elektronischen Indie-Pop. Yes I’m Very Tired Now verfängt sich damit aber nicht in den lahmen Auswüchsen der aktuellen und verhipsterten Szene, sondern erhebt seine Musik zu einer Kunstform. Das zeigt sich schon mit dem Covermotiv, versucht man hier doch die genaue Aussage zwischen Party-Schnappschuss und Dekadenz-Allegorie zu erhaschen.

Lieder wie “In Bad Times” oder “Still Believe In Music” führen diese Dualität wunderbar aus, gibt es doch klare Melodien und melancholische Gesangslinien. Klanglich bleibt Yes I’m Very Tired Now aber gerne in einer halb versteckten Zwischenwelt. Das Album will somit von Beginn an fokussiert genossen werden und eignet sich bestens, um die Weinflasche noch zu leeren. Und falls es doch ein Schluck zu viel war, die Musik fängt dich versöhnlich mit sanften Gitarrentönen auf (“Take A Photo”) oder bringt die Beine doch ein wenig zum Zucken wie bei “Bring Back The Sun”.

“Wait” ist in all dem immer konsequent und kann damit im ersten Moment auch etwas überraschen – man sollte bedrücktes Tanzen aber nicht mit Langeweile verwechseln. Yes I’m Very Tired Now ist ein zu guter Komponist und Musiker, um in die Belanglosigkeit abzudriften, vielmehr erhält man hier Musik für das gegensätzliche Ende der Nacht. Und wenn sich Gesang, Synthies, Beats und Gitarren so hübsch verbinden wie bei “Ambulance”, dann kann man nur zufrieden aufseufzen.

Anspieltipps:
Bring Back The Sun, You Stop The World, Ambulance

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Harvey Rushmore & The Octopus – The Night (2017)

Harvey Rushmore & The Octopus – The Night
Label: A Tree In A Field Records, 2017
Format: Download
Links: Facebook, Band
Genre: Psychedelic Rock, Surf

Was des Einen Elefanten, ist des Anderen Oktopus – Hauptsache die Farben und Verrücktheit stimmen. Und dank solchen tierischen Maskottchen scheint die Szene des Psychedelic Rock in der Schweiz wieder so richtig aufzublühen. Da wollen Harvey Rushmore & The Octopus natürlich ganz vorne mitfahren, stilgerecht in einem alten Cadillac – der auch mal etwas Störgeräusche aus seinem Motor lässt. Die Band lässt sich von solchen Nebensächlichkeiten auf ihrem Debütalbum „The Night“ aber nicht beeindrucken – dafür sind sie zu cool.

Mit locker umgehängten Gitarren, einem wohl vernebelten Bandraum und viel Freiraum wagen sich Harvey Rushmore & The Octopus nämlich an eine Musik, die heute viel zu selten in der Allgemeinheit gehört wird. Schleichend wachsen Stücke wie „The Night“ oder „Octopus Ride“ zu immer stärker fesselnden Übungen an – der Surf Rock macht sich breit. Gesänge gesellen sich zu den Melodien und plötzlich landet man sogar im angesägten Pop.

Harvey Rushmore & The Octopus spüren sehr wohl, dass die Musik auf „The Night“ gerne in die obskuren Seiten der Handleser abdriften könnte und schalten darum gerne einen Gang zurück – ohne dabei den Reiz in ihren Songs zu verlieren. Viel mehr verleihen Stücke wie „Radiation“ oder „Darkside“ dem Album eine weitere Komponente und laden die Hörer geradezu ein, diese Truppe möglichst bald live zu betrachten. Denn dieser Rock eignet sich nicht nur für die kreative Begleitung von Mandala-Malerei, sondern auch für ausgelassene Konzertabende und krumme Tanzschritte.

Anspieltipps:
The Night, Darkside, Radiation

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Swans – The Great Annihilator (1995)

Swans – The Great Annihilator 
Label: Young God Records, Remaster 2017
Format: Download
Links: Discogs, Band
Genre: Noise-Rock, Alternative

Es war schon fast das letzte Aufbäumen vor der Auflösung und genau darum auch ein fantastischer Ritt durch alle bandbestimmenden Qualitäten. Der grosse Vernichter stellt sich allem entgegen und ist eines dieser wilden Alben, die nur Swans kreieren können. Ursprünglich 1995 veröffentlicht, erscheint nun eine klanglich aufpolierte Version von „The Great Annihilator“ mit zusätzlichem Live-Song und dem kompletten „Drainland“-Album von Michael Gira. Aber eigentlich bietet schon das ursprüngliche Werk mehr als genug Material zum Lärmen und Staunen, oder Sich-am-Kopf-kratzen.

Denn mit dieser Platte wagten Swans einen Seiltanz zwischen zugänglichem Material wie „Warm“, welches schon fast angenehm anzuhören ist – nur um dann gleich wieder in die kaputten Gebiete des alternativen und lärmenden Rock abzustürzen. Mit vielen Gitarrenspuren, hypnotischen Wiederholungen, einer rumpligen Rhythmusfraktion und mehreren Stimmen wandelt man in den Gängen eines Irrenhauses und findet plötzlich den sonnigen Innenhof. „Mind/Body/Light/Sound“ steht als Kumulation aller Zutaten in perfekter Form auf dem Platz.

Was hier aus gewalttätiger Rock-Musik, verwirrenden Klängen und angriffigen Ausformulierungen zu einem fantastischen Ritt wird, das verbarg sich im tiefen Inneren von Swans-Frontmann Gira. Trotz schwieriger Entstehungsgeschichte wirkt das Album vollendet und lockt mit seinen kurzen Liedern. Zwar fehlt hier noch etwas die erlösende Wirkung der neueren Scheiben, mitreissend ist „The Great Annihilator“ aber immer. Und wer dann komplett in die Dunkelheit abstürzen will, der hört mit „Drainland“ die seelischen Abgründe der Menschheit und die obskure musikalische Aufarbeitung des Alkoholismus.

Anspieltipps:
I Am The Sun, Mind/Body/Light/Sound, The Great Annihilator

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Bullet Height – No Atonement (2017)

Bullet Height – No Atonement 
Label: Superball Music, 2017
Format: Download
Links: Facebook, Band
Genre: Electro-Rock, Dark Rock

Pure Reason Revolution plus IAMX ergibt Bullet Height? Leider nur auf dem Papier – denn obwohl hier Jon Courtney, der ehemalige Gründer der Art-Rock-Truppe mit der Keyboarderin Sammi Doll der Dark Wave-Helden die Vermengung sucht, wollen die entstandenen Kinder sich nicht immer benehmen. „No Atonement“ gibt sich aber erstmal auch gar nicht mit solchen Kleinigkeiten ab, denn vom eröffnenden „Fight Song“ bist zum abschliessenden „Up To The Neck“ gibt es sonische Grossangriffe und überlagernde Tonspuren. Natürlich immer in Schatten und Strobo getaucht.

Lieder wie die Single „Hold Together“ wollen dem Hörer zwar weismachen, dass Bullet Height auch sanft auftreten können, doch sehr schnell sind auch hier die schreienden Gitarren, die knarrenden Synthies und das verzerrt knallende Schlagzeug zurück. Erholung gibt es auf „No Atonement“ selten, mit diesem ersten Album testet die neue Band unsere Belastbarkeit. Als Gegenpol werden die von Pure Reason Revolution gewohnt melodischen Gesänge aufgestellt, dies glättet die Wogen aber auch nie wirklich. Eine solche Tracht Prügel kann Spass machen, doch leider geht dem Duo auf halber Strecke die Luft aus.

Sicherlich, Bullet Height ist die fesselnde Kombination aus den Fähigkeiten von Courtney und Doll und mischt den Dark-Rock mit vielen Stromschlägen. Aber spätestens ab „Intravenous“ hat man das Gefühl, die Lieder gleichen sich alle zu stark. Jeder Song ist gleich geschminkt und eine andere Farbe als Schwarz darf keiner anziehen. Somit verschwindet die Platte im Kopf schnell in einem Mittelmass und einzelne Highlights lassen sich selten ausmachen. „No Atonement“ ist somit weniger für die Ewigkeit, als für die kurze und sehr wilde Abrissparty mit kaputten Freunden. Jon Courtney wieder in Aktion zu sehen macht aber auf jeden Fall Freude.

Anspieltipps:
Bastion, Intravenous, Break Our Hearts Down

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Bjørn Riis – Forever Comes To An End (2017)

Bjørn Riis – Forever Comes To An End
Label: Karisma Records, 2017
Format: Download
Links: Facebook, Künstler
Genre: Art-Rock

Wenn es einen Mitarbeiterpreis für den am schwersten arbeitenden Gitarristen unter den Musikern gäbe, mit „Forever Comes To An End“ hätte sich Bjørn Riis diesen auf jeden Fall verdient. Und ein solches Diplom würde sich bestimmt neben all den Fanpostern an den Wänden im Studio gut machen – denn auch mit seinem zweiten Soloalbum zeigt der Gitarrist von Airbag, dass er aus lebenslangen Inspirationen wunderbare Art-Rock-Songs schneidern kann. Natürlich immer voller Saitenzauber und sphärischen Wirkungen.

Es wird schnell klar, dass in Stücken wie „The Waves“ oder dem Titellied eine grosse Anzahl von guten Geistern lauert. Bjørn Riis lässt harte Riffs erbeben wie bei Porcupine Tree oder Black Sabbath, gleitet dann aber auch auf wohlklingenden Wellen wie bei Pink Floyd oder Marillion über die schlafenden Landschaften. „Forever Comes To An End“ ist also nicht nur die träumerische Weiterführung bekannter Traditionen, sondern auch die Demonstration der technischen und künstlerischen Fähigkeiten des Musikers.

Wenn man zwischen Keyboardflächen und Akkordwechseln eintaucht, dann muss man sich nie Sorgen um Luftmangel machen. Die Kompositionen von Bjørn Riis haben viel Freiraum und erdrücken den Hörer nicht mit wichtigtuerischem Abgrasen von Griffbrettern. Viel mehr geben sich atmosphärische Höhenflüge und Stakkato-Angriffe zärtlich die Hand und freuen sich auch, wenn in Liedern wie „Where Are You Now“ Gesang erklingt. Das tut dem meist instrumental gehaltenen Album sehr gut und verleiht dem Auftritt eine tiefere Ebene. Somit ist das Werk bereits nach wenigen Durchgängen nicht nur für Gitarristen eine wundervolle Meditation.

Anspieltipps:
Forever Comes To An End, The Waves, Where Are You Now

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Live: Coheed And Cambria, Z7 Pratteln, 17-06-13

Coheed And Cambria
Support: Dinosaur Pile-Up
Dienstag 13. Juni 2017
Z7, Pratteln

Noch einmal Luft holen, dann los. “Good Apollo, I’m Burning Star IV, Volume One: From Fear Through the Eyes of Madness” – was bei anderen Bands schon für ganze Songtexte reichen würde, wird hier erst einmal zum Albumtitel. Und wenn dann auf der Tour noch der Zusatz “This Is Not A Beginning / Neverender GAIBS IV” angefügt wird, dann ist klar, bei Coheed And Cambria spielt der Inhalt weiterhin eine grosse Rolle. Ganz vergessen wird das Konzept “The Amory Wars” eh nie sein, bei einer Jubiläumstour mit komplett gespieltem Album wird dann auch das komplette Fanprogramm ausgepackt.

Wenn sich die Emo-Progger aus den USA wieder einmal in der Schweiz zeigen, dann gibt es auch einen Grund zum Feiern – und der war hier die Darbietung des dritten Studioalbums der Band. Und obwohl dies nicht unbedingt riesige Massen in das Z7 in Pratteln lockte, waren die Anwesenden dafür umso erfreuter und lauter. Coheed And Cambria haben sich über die Jahre eine starke Fanbasis erarbeitet und dies sorgte auch am Dienstagabend für eine wunderbare Stimmung. Somit fiel nicht weiter auf, dass sich die Band praktisch nie an das Publikum wandte, sondern “GAIBS IV” ohne grosse Pausen in korrekter Reihenfolge spielte.

Und das bedeutete harte Riffs, Gesang wie in den wildesten Emo-Zeiten, ausufernde Lieder und eine Gnadenlosigkeit wie beim Hardcore. Mit Progressive Rock im eigentlichen Sinne hatten Coheed And Cambria nie viel zu tun, vielmehr versuchen sie ihre Weltraum-Saga mit Pop-Anleihen und diesen unglaublich eingängigen Rhythmen frisch und modern zu präsentieren – was auch in der Konzertfabrik während des gesamten Auftrittes zu spüren war. Dank Chorgesang und mehrstimmig gespielten Gitarrenmelodien hielten sich die Fans aber auch immer wieder in den Armen und liessen nicht nur Frontmann Claudio Sanchez grinsen. So unendlich weit ist das All also doch nicht.

Etwas geradliniger und vor allem viel verzerrter gab sich das Trio Dinosaur Pile-Up aus London. In einer schreiend lauten, aber nicht unattraktiven Mischung aus Grunge, Post-Punk und Emo stapelten sie alte Helden wie Nirvana oder Smashing Pumpkins zu krachenden Songs. Immer mit vollem Tempo und Energie liessen sie die Saiten brennen und waren damit zwar nicht filigran, aber doch erfrischend anders. Vielleicht eine etwas abenteuerliche Wahl als Support von Coheed And Cambria, aber damit auch ein jugendlicher Aufbruch der konzeptuellen Kunst.

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.