Hardcore

Being As An Ocean – Waiting For Morning To Come (2017)

Wer in den letzten Monaten das Gefühl hatte, in den Gebieten des Post-Hardcore und Metal werde einfach zu wenig gewagt und zu vieles immer wiederholt, der sollte sich mal genauer mit „Waiting For Morning To Come“ von Being As An Ocean beschäftigen. Die Gruppe aus Kalifornien, welche seit 2011 den Post-Hardcore mit melodischen Teilen und atmosphärischen Kompositionen aufmischt, wagt auf ihrem vierten Album extrem viel – was zuerst etwas verwirrt.

Denn obwohl mit „Black & Blue“ gleich ein herrliches Stück Musik voller Emotion und lauernder Aggressivität zu Beginn auf den Hörer wartet, Being As An Ocean wechseln während den folgenden Stücken die Stimmung und Präsentationsart schier schwindelerregend oft. Zu den bekannten Elementen wie gesprochenen Texten und voluminösen Liedern kommen auch noch effekttechnische Experimente („Eb taht srewop eht“ läuft beispielsweise komplett rückwärts) oder grosse Portionen von sanftem Alternative Rock dazu. Inklusive starker Dynamik und technischer Perfektion.

Wer aber genau hinhört, für den spannen die einzelnen Fäden immer mehr zusammen und ein dichtes Netz an Musik, Ausdruck und Möglichkeit entsteht. Being As An Ocean wagen es, ihre harte Musik komplett neu zu konstruieren und haben dabei grossartige Lieder wie „OK“ oder „Thorns“ erschaffen. Persönliche Inhalte und der neue Gitarrist/Sänger Michael McGough haben „Waiting For Morning To Come“ mehr als gut getan und aus einer harten Gangweise eine Erlebnisreise geschaffen. Es muss ja nicht immer alles bluten.

Anspieltipps:
Black & Blue, OK, Thorns

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Of Mice And Men – Defy (2018)

Ist es die Schuld von Howard Benson und Chris Lord Alge, dass „Defy“ so geschliffen und leicht klingt? Der Produzent und Mischer waren nämlich auch schon mit Bands wie My Chemical Romance oder Green Day tätig – da bleibt vom harten Getue nicht mehr so viel übrig, oder? Auf jeden Fall findet man auf dem fünften Album von Of Mice & Men eine klassische, wenn auch etwas sanftere Version des modernen Metalcore und neu auch nur noch Aaron Pauley am Mikrofon. Seit 2016 ist Austin Carlile nämlich nicht mehr Teil der kalifornischen Gruppe und versucht nun anderswo sein Glück.

Wer nach diesem ersten Abschnitt nun die Single „Warzone“ anhört und denkt: Was schreibt der denn? Ja, dieses Stück ist zu Beginn eines der wirklich brachialen und wunderbar wilden Höhepunkte auf der Platte. Of Mice & Men lassen sich hier zu Power-Riffing und wildem Geballer hinreissen, nicht ohne den melodischen und harmonischen Refrain zu vergessen. Meist aber bleibt die Gruppe im harten Metal und sauberen Gesang. Stücke wie „Vertigo“ oder „Sunflower“ machen aber trotzdem viel Spass und laden Fans aller Geschlechter und Altersgruppen vor die Bühne. Gesamtheitlich stimmt für mich die Balance zwischen Brutalität und Sanftheit aber nicht wirklich.

Dazu kommt leider auch ein eher mittelmässiges Cover von Pink Floyds „Money“ – das würde auf „Defy“ ganz klar nicht fehlen. Denn Of Mice & Men sind genügend Sattelfest im Songwriting und spielen geschickt mit der Eingängigkeit. Ihr neustes Werk ist somit eine klare Aussage, dass sie auch zu viert weiterhin Energie und Kraft besitzen, wenn auch nun eher etwas vom wuchtigen Metalcore entfernt auftreten (siehe „If We Where Ghosts“). Für Liebhaber der Band und der Stilrichtung sollte der Kauf dieser Platte aber bestimmt keine schlechte Entscheidung sein.

Anspieltipps:
Vertigo, On The Inside, Warzone

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Sect – No Cure For Death (2017)

Alles ist eine Frage der Definition – so behaupten Sect mit ihrem zweiten Album nämlich, 17 Minuten Musik reichen aus, um eine Langspielplatte zu verkaufen. Und sie behalten damit recht! Denn was bei anderen Bands knapp zu einer EP reichen würde, wird hier bei dieser Hardcore-Zusammenkunft bekannter Namen zu einer brutalen Momentaufnahme voller Gewalt, jaulenden Gitarren und Übertritte zum Grindcore. Verbale Angriffe auf die korrupten Systeme inklusive.

Sect ist niemand anderes als Chris Colohan (Cursed), James Chang (Catharsis), Scott Crouse (Earth Crisis), Steve Hart (Day Of Suffering) und Andy Hurley (Racetraitor) – eine geballte Ladung an Talent und Erfahrung also, Wut nicht zu vergessen. In zehn kurzen, aber immerzu heftigen und schier explodierenden Portionen servieren uns die Mannen mit „No Cure For Death“ eine klassische Portion Hardcore, die sich von Breakdown zu extremen Blasts hangelt und immerzu wie ein Krawall in dein Gehirn einzieht. Zurückhaltung oder Pausen kennt die Band nicht, hier wird immerzu geknüppelt.

Dieser gnadenlose und rasante Stil macht die Musik von Sect aber schnell zu einer Droge. Kaum hat man sich an das schwarze Hoch gewohnt ist „No Cure For Death“ vorbei, schnell wieder wieder auf den Startknopf gedrückt. Und bald ist nicht nur die Stereoanlage malträtiert, sondern das halbe Wohnzimmer zerlegt und Pläne gegen die Unterdrücker geschmiedet. Die „Least Resistance“ ist hier.

Anspieltipps:
Day For Night, Stripes, Least Resistance

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Speaking With Ghosts – Illuminated (2017)

„Illuminated“ ist an vielen Stellen ein typisches, modernes Metalcore-Album, das es mir etwas schwierig macht. Denn mit diesem Werk spielen Speaking With Ghosts aus Chicago zwar sofort in der Liga der grossen Recken mit, vermögen es aber selten, dem Genre auch neue Impulse zu geben. Der zweite Song „Roadblocks“ zeigt dies perfekt auf: Mit heftigen Breakdowns versehen, Wechsel zwischen Gesang und Geschrei und immerzu hyperaktiven Gitarren macht der Song zwar alles richtig, will aber in all dieser Fülle auch zu wenig.

Es ist somit nicht verwunderlich, werden Fans von Parkway Drive oder August Burns Red hier auf den Zug aufspringen und glücklich für Speaking With Ghosts in den Mosh steigen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden, knallt die Musik doch wunderbar rein, ist dynamisch produziert und wechselt immer wieder zwischen eingängigen und sehr brutalen Stellen. Pop-Metalcore könnte man dies wohl nennen, „Illuminated“ hält es nämlich nie lange im Fleischwolf auf.

Somit haben Speaking With Ghosts ein Album veröffentlicht, dass Liebhaber des Genres auf jeden Fall freuen und begeistern wird – viele andere aber etwas ratlos zurücklässt. Ja, ich verstehe die Anziehung, welche diese fünf Musiker mit ihrer Musik hier ausstrahlen, für mich selber versinkt „Illuminated“ aber etwas zu stark in den Konventionen der Stilrichtung. Und somit ist diese Platte einfach.

Anspieltipps:
Woven In Gold, Relapse, Dreamwalker

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Stick To Your Guns – True View (2017)

Hardcore stand schon immer dafür, sich sehr kritisch mit den politischen und sozialen Begebenheiten auseinanderzusetzen. Für ihr sechstes Album haben die Amerikaner Stick To Your Guns diese Perspektive aber nun verlassen und Sänger Jesse Barnett nimmt sich die Geister in seinem eigenen Körper an. Selbstreflexion ohne Gnade, begleitet von harten Riffs und Breakdowns, Gitarrenwänden und düsteren Grooves. „True View“ bricht dabei aber nicht mit klanglichen Traditionen, sondern ist ein weiterer Schritt in der Erfolgsgeschichte der Band.

Nach einem intro-artigen Song („3 Feet From Peace“) stürzen sich Stick To Your Guns mit „The Sun, The Moon, The Truth: Penance Of Self“ gleich in die Abgründe. Viel emotionales Geschrei, tief gestimmte Gitarren und ein schleppendes Vorankommen, nicht weit vom Doom entfernt – dieser Kampf gegen die mentalen Probleme und Beziehungskrisen ist kein einfacher. Schnell aber zieht das Tempo wieder an und die schmissigen Refrains mit Chor-Gesang kehren zurück. Die Mannen aus Kalifornien schlachten einzelne Ideen aber nie zu lange aus, sondern zeigen auf „True View“ ein gutes Händchen für geschickt platzierte Wechsel, eine eindrucksvolle Dynamik und Gefühle, die dich hart treffen.

Ob also klassisch wie bei „Married To The Noise“ oder gnadenlos und auf den Punkt wie bei „You Are Free“ – diese Mischung aus Hardcore, Punk und modernem Anspruch geht immerzu auf und packt sofort. Epik trifft auf simple Bausteine (siehe „56“), unsere eingerosteten Gedanken treffen auf neue Ansichten und Ausdrücke. Stick To Your Guns haben mit „True View“ ein Album geschrieben, dass im hart umkämpften Gebiet des intensiven Metalcore ohne Probleme besteht und als Sieger vom Platz geht. Und die Wunden werden heilen.

Anspieltipps:
The Sun The Moon The Truth: Penance Of Self, Cave Canem, You Are Free

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

August Burns Red – Phantom Anthem (2017)

Band: August Burns Red
Album: Phantom Anthem
Genre: Metalcore

Label/Vertrieb: Spinefarm / Fearless
VÖ: 6. Oktober 2017
Webseite: augustburnsred.com

„Phantom Anthem“ ist ein Paradebeispiel für das gelungene Weiterführen einer Tradition und das Einflechten neuer Ideen in ein festgefahrenes Genre. Denn im Gegensatz zu unzähligen anderen Bands, die heutzutage im Stil des Metalcore wüten, haben es August Burns Red auch auf ihrem achten Studioalbum geschafft, Komplexität, Härte und Vielseitigkeit auf eine Scheibe zu pressen. Und wie gross diese Leistung ist, wird einem spätestens bei Monstern wie „Hero Of The Half Truth“ oder „Generations“ bewusst.

2003 in Lancaster gegründet, mischten die Amerikaner schnell technisch anspruchsvollen Metal und melodische Grooves zu einem neuartigen Erlebnis. Bestes Beispiel ist „The Frost“: Hier treffen Doublebass auf prügelnde Strophen und umherflitzende Gitarren auf helle Glockenklänge. Es wird somit schnell zu einem fordernden Stück Metal, das immerzu frisch klingt. August Burns Red benötigen keine billigen Breaks, keine tausend Mal vernommenen Gesänge, hier legen sich Bass und Gitarre zu Wettkämpfen in der Präzision an, Hard-Rock-Riffs werden mit Pech überzogen und dann gesprengt.

Was uns mit „Phantom Anthem“ vorliegt ist somit das beste Argument für all die Stänkerer, die bei Metalcore immer gleich die Augen verdrehen und von „Mädchen-Metal“ sprechen. August Burns Red legen eine wahre Tour de Force hin und gönnen weder ihren Körpern, Instrumenten noch Hörern auch nur eine kleine Pause, sondern sind auch 2017 immer noch die erste Anlaufstelle für knüppelharte Musik mit hinter sich gelassenem Tellerrand und grosser Perspektive. Aber Achtung: Laut ist es, zu jeder Sekunde.

Anspieltipps:
Hero Of The Half Truth, The Frost, Generations

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Eskimo Callboy – The Scene (2017)

Band: Eskimo Callboy
Album: The Scene
Genre: Metalcore / Trancecore

Label/Vertrieb: Century Media
VÖ: 25. August 2017
Webseite: eskimocallboy.com

Seit vier Alben durchpflügen Eskimo Callboy nun mit ihrem Trancecore die Szenen und spalten dabei nicht nur die Meinungen – hier fliesst auch viel Alkohol. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Bands im Bereich des Metalcore und Post-Hardcore vertritt diese deutsche Truppe keine wirklichen politischen Meinungen, sondern lässt in ihren Liedern lieber die Lust zur Party und zum Sex freien Lauf. Das passt zum Klanggerüst, treffen hier doch Trance-Riffs auf harte Blasts und wildes Geschrei. Es stellt sich aber auch sieben Jahre nach der Bandgründung die Frage: Wie ernst darf man „The Scene“ nehmen?

Mit ihrer gleichnamigen Single zeigten Eskimo Callboy schon sehr gut, was auf ihrem vierten Album geboten wird. In einem Hochglanzclip marschieren attraktive Frauen in Zeitlupe, die Band feiert sich dazu auf der perfekt ausgeleuchteten Bühne. Tiefgang und wirkliche Überraschungen gibt es keine, dies findet man auch in den zwölf weiteren Stücken von „The Scene“ nicht. Zwar pendelt die Band zwischen eher direkten Prüglern wie „New Age“ oder „Shallows“ und Komikmaterial wie „Nightlife“ und „MC Thunder“, Genre-Revolutionen finden aber nie statt. Und obwohl immer alles heftig reinknallt, der Metal von Techno-Elementen ausgefräst wird und die Band locker aufspielt – es wirkt etwas mühselig.

Aber schlussendlich ist wohl jeder selber Schuld, der sich mit diesem Album zum Nachdenken anregen will. Eskimo Callboy (ein übrigens auch etwas fragwürdiger Name) haben nur ein Ziel: Let’s Party! Und damit erreichen sie im oft brutal harten Gebiet des Metalcore dieselbe Wirkung wie Good Charlotte oder Avril Lavigne im Punk. Wenn bei „Rooftop“ plötzlich noch Rap dazukommt oder „Frances“ von weiblichem Gesang umgarnt wird, dann lockt die Band sogar Pop-Fans in ihre Fänge. Also Bier kaltstellen, Lautstärke aufdrehen und am nächsten Morgen mit Kater wieder aufwachen.

Anspieltipps:
The Scene, Shallows, Rooftop

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.

Atena – „Possessed“ (2017)

Band: Atena
Album: „Possessed“
Genre: Metalcore / Hardcore

Label/Vertrieb: Indie
VÖ: 27. Oktober 2017
Webseite: Atena auf FB

„Death Eating“ bringt nicht nur extrem harte Blasts und Growls, sondern auch das Geschrei des Hardcore inklusive dessen modernstem Klangbild – und Rap! Ja genau, Atena geben sich nicht mit Gesang, tierischen Urlauten und überbordenden Emotionen zufrieden, es hält auch der Sprechgesang bei „Possessed“ Einzug. Bevor jetzt aber alle davonlaufen: Diese Mischung geht perfekt auf und zeigt wie auch der Rest dieses dritten Albums, dass sich die Norweger zu Recht um keine Grenzen scheren.

Denn seit 2013 versuchen die Musiker, Djent, schweren Metal und Hardcore auf aufregende Weise neu zu mischen und mit diversen Einflüssen zu garnieren. So lauern in „Church Burning“ digitale Rückkopplungen und „Oil Rigs“ platzt schier vor Bombast und Chor. All dies fügt sich auf „Possessed“ zu eine Album zusammen, das in etwas mehr als einer halben Stunde eine grosse Bandbreite menschlicher Emotionen und Stimmungen abzudecken vermag und damit immer unterhält und mitreisst. Atena finden hier die perfekte Mischung aus Melodie, Zugänglichkeit und alles zerstörender Wucht.

Und genau dank dieser Mischung, welche extrem durchdacht durch die Boxen dringt und damit keine Stilrichtung brüskiert, wirkt dieser moderne Metal völlig neu und anders. Sicherlich ist Atena nicht die erste Gruppe, welche mit dem Hardcore tanzt und die Mathematik etwas aus dem Djent entfernt hat – aber einer der wenigen Namen, die auf gesamter Linie damit gewinnen. „Possessed“ wirkt somit nicht nur extrem eindringlich und packend, es dient auch als Verstärker eigener Empfindungen und hat einen extremen Wiederholungswert. Nieder mit den Schubladen.

Anspieltipps:
Confessional, Death Eating, Oil Rigs

Dieser Text erschien zuerst bei Artnoir.