Sylvan

Live: Night Of The Prog Festival X, Loreley, 15-07-17 bis 19

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Night Of The Prog Festival, Volume 10
Freitag 17. bis Sonntag 19.07.2015
Freiluftbühne Loreley, St. Goarshausen

Alle Jahre wieder? Nachdem mir der erste NotP-Besuch so gefallen hatte, hiess es auch dieses Jahr wieder: Ab auf die Loreley. Mit mehr Freunden, grösserem Auto und guter Laune ging die lange Fahrt los, untermalt aus einem interessanten Soundmix des Prog-Bereiches. Nach Stau, Wärme und Fähre durften wir uns auf dem Zeltplatz mit dem steinharten Boden und verkrümmten Heringen abmühen, aber hatten immerhin viel Platz und unsere letzt jährigen Bekanntschaften als Nachbarn. Darum ging es munter weiter zur Freilichtbühne und ab in die Konzertwelt.

Dieses Jahr feierte die Night Of The Prog ihr zehnjähriges Bestehen und wurde darum auf drei Tage ausgeweitet. Das hiess mehr Spass, Bier und Musik, in dieser Auflage eine bunte Mischung aus alten Helden und neuen Recken. Den Tagesstart durften natürlich die noch unbekannteren Bands wagen, obwohl es Neulinge beim diesjährigen Line Up nicht gab. Bereits am Freitag gaben sich LeSoir, Beardfish und Anneke Van Giersbergen die Mikrofone und Gitarren weiter. Wobei gerade die Sängerin auf viele Fans zählen kann, zeigte ihr Set schliesslich eine grosse Bandbreite mit Liedern von The Gentle Storm, Ayreon, Devin Townsend oder The Gathering. Da sie stimmlich leider etwas angeschlagen war, wurde sie von einer zweiten weiblichen Stimme unterstützt, die Haare schwangen alle Musiker/innen auf der Bühne. Was zum Teil etwas gar übertrieben darstellerisch rüberkam, hatte bei mir auch wegen dem Bombast zu kämpfen. Der Kitsch blieb danach zwar auf der Bühne, wurde aber in netten Neoprog verwandelt. Die alten Männer von Pendragon bestiegen die Bühne und spielten ein wunderbares Set aus alten Lieblingen und neuen „Hits“. Etwas merkwürdig überflüssig waren die zwei Background-Sängerinnen, die zwar in Steam-Punk Kopfbedeckung und Overalls hübsch rumtänzelten, aber eigentlich nie sangen. Ad absurdum wurde das Konzept dann mit dem weiblichen Gesang ab Band geführt. Sex sells?

Solche Mittel haben Neal Morse und seine Jungs schon lange nicht mehr nötig. Wieder einmal beehrte der Amerikaner den Felsen und zeigte sich in der neusten Inkarnation als „The Neal Morse Band„. Da der Name Programm ist, stand der Künstler im Mittelpunkt und präsentierte hart rockend die Stücke von „The Grand Experiment“. Im Gegensatz zum Konzert im Z7 fand ich diese Show hier rundum gelungen. Die Musiker hatten Spass am Spiel (Mike Portnoi stach wie immer heraus), die Lieder knallten rein und Spock’s Beard wurden auch geehrt. Der eigentliche Headliner Camel hatte es da schon schwerer für mich. Klar, die Müdigkeit war stark und ich kannte ihre Musik nicht, aber es holte mich nie ab. Egal wie wichtig sie für den Prog sind, egal wie viele Klassiker in ihrem Repertoire stecken, ich bewegte mich lieber frühzeitig auf den Zeltplatz zurück.

Der Samstag liess zuerst schlimmes vermuten, Luna Kiss waren aber doch keine Prog-Goth-Emo Truppe, sondern eine hart Rockende Band – von Blues über Prog zu Hard-Rock. IO Earth hingegen versauten sich vieles mit ihrem übersteuerten Sound, den unzähligen Samples und einer Musik, die scheinbar immer über die Synth geführt wird. Zu viel Pathos, zu viel Oper, zu viel Bombast – da half auch die blonde Schönheit am Mikrofon nichts. Dafür durfte ich endlich mal Sylvan live erleben. Die Hamburger spielten viel vom neuen Album Home und ein paar Klassiker wie „Artificial Suicide“. Stimmlich zwar nicht immer auf dem Punkt, aber doch professionell und manchmal berauschenden Art-Rock. Lazuli können das aber noch besser, zeigten die Franzosen doch von der ersten Sekunde an grosses Talent und viel Spielfreude. Ihre Musik hebt sich gekonnt vom Einheitsbrei der Progszene ab und weiss auch mit verrückten Instrumenten zu glänzen. Supertoll war auch, dass man die Bandmitglieder für die restliche Festivaldauer noch auf dem Gelände antreffend konnte und mit ihnen Bier trinken und schwatzen durfte.

Über The Enid schreibe ich lieber nicht zu viel, ich fand es grässlich. Aber die Pause tat gut, schliesslich wurde ich danach von Riverside regelrecht weggeblasen. Diese Lieder in ihrer vollen Pracht endlich auf einer Bühne zu erleben, das war unbeschreiblich. Die Gruppe ist unglaublich gut und kann mit ihrer eigenen Musik extrem viel Atmosphäre erschaffen. Als Krönung gab es sogar zwei Lieder vom im Herbst erscheinenden Album. Eigentlich wäre der Abend hier abgeschlossen, aber Fish stapfte auf die Bühne und zeigte zum allerletzten mal das komplette „Misplaced Childhood“ Album. Emotional, mitreissend und unter die Haut gehen. Ich war wie in Trance und verliess das Amphitheater fliegend.

Sonntag, letzter Tag nach einer nassen Gewitternacht, Regen zeigte sich auch während den Konzerten. Aber ein echter Progger versinkt in der Musik, nicht im Schlamm. Darum wurde bereits zu Special Providence laut geklatscht und gefeiert. Die instrumentale Musik war auch nur der Wahnsinn. Haken konnten auch viel, haben aber leider einen sehr theatralischen Frontmann dabei. Hier hiess es: Wegschauen und die Musik geniessen. Denn die wurde gegen Ende des Auftrittes nett komplex, mit Anleihen bei Gentle Giant. Kaipa Da Capo erreichten dann leider nie diese Sphären, auch wenn der schwedische Prog zum allerersten Mal in Deutschland gespielt wurde. Roine Stolt und seine Mannen mühten sich mit der Technik und etwas zusammenhangslosen Songs ab, die Spiellust schien ihnen auch zu fehlen – schade. Genau das Gegenteil gab es dann beim Auftritt von Steve Rothery und seiner Band. Nebst Material vom Album „The Ghost Of Pripyat“ gab es auch alte Marillionsongs und einen erneuten Ausschnitt aus „Misplaced Childhood“. Was will man mehr? Grendel? Tja, gab’s auch dieses Mal nicht.

Pain Of Salvation verzückten mich mit einem wilden Set aus alten Prog-Metal Songs, ich hatte ja schon Angst, die Gruppe versinkt im Retro-Rock. Auch den Stromausfall beim Konzertbeginn steckten sie mit Humor weg und wurden danach umso wilder. Aber ich wollte Energie sparen, schloss das Festival doch mit der letzten Vorstellung von „Genesis Revisited“ ab. Steve Hackett spielte sich mit seiner grossartigen Band durch ein Set voller Klassiker und geliebten Liedern. „Watcher Of The Skies“, „Musical Box“, „Supper’s Ready“, und und und. Zwei Stunden lang schwebte man im Genesis-Himmel und glaubte die echte Truppe auf der Bühne zu hören. Unfassbar wie frisch und druckvoll diese alten Stücke immer noch klingen. Und was für ein perfekter Abschluss für diese drei Tage.

Night Of The Prog: Wieder einmal international, gemütlich, wunderschön und ein tolles Fest. Toll, wurde das Essensangebot ausgebaut, gab es mehr Komfort auf dem Camping und noch mehr neue Freunde. So muss ein Festival sein.

Viele tolle und offizielle Bilder findet ihr auf Facebook.

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Sylvan – Home (2015)

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Sylvan – Home
Label: Gentle Art Of Music, 2015
Format: CD im Digibook
Links: Discogs, Band
Genre: Art-Rock, Prog

2015 scheint ein gutes Jahr für Konzeptalben über Entfremdung und Verlust in der heutigen Zivilisation zu sein. Nebst Steven Wilson und seinem angekündigten „Hand. Cannot. Erase.“, bieten bereits jetzt Sylvan aus Deutschland eine ähnliche Scheibe. „Home“ ist dabei nicht so frei in seiner Ausführung wie Herr Wilson bei seiner Musik, sondern bietet Kost aus bekannten – und gern gehörten – Zutaten der Art-Rocker. Gestartet wird aber orchestral und mit Chorgesang, scheinbar hat der Weggang des einen Gitarristen die Band weiter zum Symphonischen geleitet.

„Shaped Out Of Clouds“ übernimmt diese Stimmung und führt nahtlos die Band ins Album ein. Gitarre, Schlagzeug, Bass und der unverkennbare und oft leidende Gesang von Marco Glühmann fügen sich ins Bild ein und wandeln die Musik mit jedem Lied stärker zu härteren Prog. Den ersten Erfolg gelingt ihnen dabei mit „In Between“, ein zehn Minuten langes Wechselbad der Gefühle. Orientierungslosigkeit wandelt sich in Wut, verändert sich zu melancholischer Hoffnung. Dabei dürfen auch die Synths ihre kratzenden Melodien auspacken, um gegen Mitte wieder von Klavier und Gitarrensoli verdrängt zu werden. Die Band schafft es ab hier, all ihre Tugenden zu verbinden und mischt mit einem grossen Pinsel an. War ihr Anfangswerk oft gezeichnet vom Pop und hoch melodiösen Ausflügen in den Artrock, haben Sylvan spätestens seit „Force Of Gravity“ auch den Metal-artigen Prog ins Boot geholt. Klangtechnisch hat ihnen diese Neuerung gut getan, leider war es immer sehr heterogen. Auf „Home“ gelingt es nun endlich, alle Bestandteile nebeneinander aufspielen zu lassen, ohne Brüche zu erhalten. Obwohl sich die Geschichte um Fernweh, Heimweh und Verlust von Identität im 21. Jahrhundert gerne im gewohnt elegischen Wohlklang aufhält, werden nicht alle Ecken und Kanten im Kitsch ertränkt. Sicherlich, die Band weiss wie man grosse Harmonien und Melodien schreibt, aber nie zum Selbstzweck.

Mit ihrer neusten Platte ist Sylvan endlich ein Album gelungen, das nebst grossartigen Einzelsongs auch eine wunderbare Gesamtwirkung aufweisen kann. Am besten funktioniert „Home“ mit seinem Aufbau, seinen Wellen in der Intensität und der abwechslungsreichen Musik als Einheit. Lieder wie „Shine“ oder „Sound Of Her World“ lassen sich auch losgelöst anhören, Sinn ergeben sie aber vor allem im Kontext. Und genau darauf zielt ein Konzeptalbum ab. Aufgabe mehr als erfüllt.

Anspieltipps:
Not Far From The Sky, In Between, Shine